Personalmangel an Schulen nicht nur verwalten, sondern die Zukunft absichern: nachhaltig planen, ausbilden und qualifizieren

Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FDP.

Anfang des Jahres legte der Bildungsforscher Prof. Dr. Klaus Klemm eine erschreckende Analyse vor. In seiner kritischen Auseinandersetzung mit den Berechnungen der Konferenz der Kultusministerinnen und -minister (KMK) zum Lehrer- und Lehrerinnenbedarf und -angebot ist sein Fazit ernüchternd wie erschreckend: Nach seinen Berechnungen wird der Lehrer- und Lehrerinnenmangel in den kommenden Jahren in Deutschland noch viel größer sein als bisher befürchtet. Geht die KMK davon aus, dass 2030 etwa 14.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen, bemisst Klemm die Zahl auf 81.000. Zwar hält er die Annahmen der KMK über die Entwicklungen der Schüler- und Schülerinnenzahlen für realistisch, andere Zahlen aber, etwa die Menge der Lehramtsabsolventinnen und -absolventen bewertet er kritisch. Weiter bezeichnet er die Annahmen zur Menge ausgebildeter Lehrerinnen und Lehrer, die in den kommenden Jahren die Universitäten verlassen, für in „hohem Ausmaß unseriös“ – weder die Zahlen zur aktuellen Entwicklung der Lehramtsstudierenden noch die Zahl der Studienberechtigten, die in den kommenden Jahren die Schule verlassen, gäben eine solche Schätzung her. Nach seiner Kalkulation drängen 2030 nicht 349.000 gut ausgebildete Absolventen an die Schulen im Land, sondern lediglich 286.000. In seinen Berechnungen macht er deutlich, dass sich die Personalnot nicht in allen Schulformen und Fächern gleichermaßen negativ auswirken wird. Besonders gravierend werde demnach der Mangel in den Klassen fünf bis zehn sein und vor allem die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) an Oberschulen (und vergleichbaren Schultypen) treffen, während Gymnasien lange sogar von einem Überangebot an Personal zehren. 

Die Bedarfsplanung der KMK sei auch deshalb kritisch zu bewerten, weil sie von weiterhin konstanten Bedarfsparametern ausgeht. Eine Verkleinerung von Klassen, eine Doppelbesetzung für mehr Unterstützung und ähnliche, vor dem Hintergrund einer chancengerechten Bildungslandschaft in Deutschland, sinnvolle strukturelle Veränderungen sieht die konventionelle Bedarfsplanung der KMK nicht vor. Berücksichtigung finden weiterhin weder der Bedarf des anstehenden Ganztagsschulausbaus, weiterer Inklusionsbemühungen oder die Reduzierung des Lehrdeputats zu Gunsten von Beziehungsarbeit bzw. organisatorischen Aufgaben. Den Extrabedarf allein für im Ganztag nicht Vollzeit arbeitende Lehrerinne- und Lehrer schätz er zusätzlich auf 81.000 Personen, womit sich der Unterschied zur KMK-Planung noch einmal vergrößert.

Unabhängig davon, wie stark man der kritischen Auseinandersetzung Klemms mit der KMK-Planung inhaltlich folgt, ist der zukünftige Personalbedarf an Schulen in einem solchen Maß ungedeckt, dass er hoch besorgniserregend ist. Zwar thematisiert man bildungspolitisch immer wieder eine Ausbildungsoffensive, um dem Personalmangel kraftvoll zu begegnen, doch ist die absolute Zahl der Lehramtsabsolventinnen und -absolventen in den vergangenen Jahren um sieben Prozent gesunken. Länder wie Mecklenburg-Vorpommern bilden tatsächlich 98% mehr Lehrerinnen und Lehrer aus, leider verzeichnen aber insgesamt nur fünf Bundesländer eine positive Ausbildungsbilanz. Auch im Land Bremen sind die Zahlen rückläufig. Zwar hält sich der Wert mit -4% noch in einem überschaubaren Rahmen, aber mit Blick auf die Zukunft der Schulen im Land macht der Trend wenig Mut, zumal die Pensionierungswelle der nächsten Jahre das System zusätzlich belasten wird.

Vor dem Hintergrund dieser Datenanalyse muss auch das Land Bremen verstärkt in eine nachhaltige Stabilisierung des Bildungssystems investieren. Schon heute sind die Nachrichten über Unterrichtsausfall auf Grund von Personalmangel periodisch wiederkehrend. Immer häufiger wird der Unterricht – oft unbegleitet und über lange Zeiträume – von Studierenden des Lehramts übernommen, um überhaupt sicherzustellen, dass er stattfinden kann. Kurzfristig sorgt diese Maßnahme für Erleichterung, langfristig aber muss sich den Senat fragen lassen, ob sie nicht in mehrfacher Hinsicht problematisch ist: Fehlt eine enge Begleitung der jungen Menschen in dem herausfordernden Beruf, werden Be- und Überlastungsmomente nicht rechtzeitig erkannt, was erhebliche gesundheitliche Auswirkungen mit sich bringen kann. Den Studierenden selbst fehlt außerdem die Zeit, die eigene Ausbildung abzuschließen, was langfristig ihre Unzufriedenheit steigert und eine nachhaltige Bildungsqualität gefährdet. Der aktuelle Trend, die Studierenden noch vor ihrem Abschluss an die Schulen zu holen, darf sich keinesfalls verstärken. Vielmehr ist zu fragen, wie im Sinne einer besseren Praxisorientierung verstärkt ermöglicht werden kann, wertvolle Berufserfahrung schon früh an Schule zu sammeln, dabei aber gleichzeitig die universitäre Ausbildung der angehenden Lehrerinnen und Lehrer abzusichern.

Bildung ist in Deutschland ein öffentliches Gut, für das der Staat nach Artikel 7, Abs. 1 unseres Grundgesetzes die Gesamtverantwortung trägt. In unserem föderalen System übernehmen die Bundesländer die konkrete Ausgestaltung dieser Aufgabe. Der Gemeinwohlbezug von Bildung verpflichtet Staat und Bundesländer in Kooperation ein leistungsfähiges Bildungssystem aufzubauen und abzusichern. Angesichts der beschriebenen Herausforderungen für die kommenden Jahre liegen enorme Aufgaben vor unserem Gemeinwesen. Neben den auf Bundesebene neu auszurichtenden Stellhebeln sind auch in Bremen wichtige Schritte nötig, um das Bildungssystem zukunftsfest auszurichten.

Eine Ausbildungsoffensive darf auch in Bezug auf die Qualifizierung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer nicht ein rhetorisches Mittel bildungspolitischer Debatten bleiben. Ihr Erfolg muss sich in harten Zahlen und einer Trendwende bei der Anzahl der jährlich ins Lehramt wechselnden Absolventen widerspiegeln. Deshalb fordern wir den Senat auf, gemeinsam mit der Universität zu prüfen, ob die Zulassungsbeschränkungen zu den Lehramtsstudiengängen tatsächlich inhaltlich gerechtfertigt sind, diese ggf. abzuschaffen und die Kontingente in den einzelnen Fächern dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Um den flüssigen Übergang vom Studium in den Beruf zu gestalten, ist ein reibungsloser Übergang ins Referendariat und die enge Begleitung durch betreuende Lehrerinnen und Lehrer an der Schule notwendig. Eine sachgerechte Bedarfsplanung muss auch berücksichtigen, dass stets ausreichend qualifizierte Lehrkräfte in den Schulen sind, die die Begleitung der Referendarinnen und Referendare sowie auch noch der Berufseinsteigerinnen und -einsteiger auf dem Weg in die Berufswirklichkeit übernehmen. 

Die Zukunftsprognosen aber zeigen auch, dass allein die Erhöhung der Anzahl der Studienplätze nicht ausreichend ist. Bis ein junger Mensch tatsächlich als voll qualifizierte Lehrerin oder Lehrer vor der Klasse steht, vergehen im Durchschnitt sieben Jahre. Schon jetzt vorhandene Lücken lassen sich mit ihnen nicht füllen. Umso wichtiger ist es, das Thema Seiteneinstieg ins Lehramt zugänglicher zu regeln und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass zur Absicherung der Bildungsqualität in der Zusammensetzung der Schulteams stets ausreichend grundständig für den Beruf qualifizierte Personen vorhanden sind und außerdem die Vorbereitung und Qualifizierung potenzieller Seiteneinsteiger verbessert wird. Dafür ist es beispielsweise notwendig, einen dem Einstieg vorangestellten Vorbereitungsdienst auch berufsbegleitend oder in Teilzeit absolvieren zu können, um den Übergang und die finanzielle Absicherung aus der momentanen Lebens- und Beschäftigungssituation bruchlos zu gestalten. Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger stehen oft vor dem Problem, dass sie ein für den Schuldienst gefordertes Zweitfach nicht ohne weiteres nachweisen können – für die Zukunft und angesichts eines extremen Mangels in manchen Bereichen, wäre zu prüfen, ob es dieses in jedem Falle braucht und gleichzeitig gestraffte universitäre Fachcurricula für diese Fächer zu entwickeln, die Vorleistungen berücksichtigen und optional auch im Fernstudium absolviert werden können. 

Mit zunehmender Internationalisierung unserer Gesellschaft ist es außerdem zwingend erforderlich, die Lehramtsqualifikation von Lehrkräften aus Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten) entsprechend der für EU-Bürger geltenden Regeln anzuerkennen und im Bedarfsfall individualisierte Anpassungslehrgänge zu entwerfen, um anschließend vollumfänglich in unseren Schulen eingesetzt werden zu können. Da diese Fachkräfte selbst positive Rollenmodelle für Schülerinnen und Schüler sind und die zwingend notwendige Internationalisierung unseres Bildungssystems eröffnen, geht von ihnen ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung gelingender Integrationspolitik aus.

Die eingangs zitierte Kritik an der Personalbedarfsberechnung im Bildungswesen – auch wenn man sie nicht in allen Punkten teilt – hat gezeigt, dass die den Planungen der KMK zugrunde liegenden Daten und Schätzungen zum zukünftigen Personalbedarf einer kritischen Überprüfung unterzogen werden müssen. Um das Bremer Bildungssystem nachhaltig für die bevorstehenden Herausforderungen zu rüsten, muss in einem ersten Schritt eine Bedarfsplanung vorgelegt werden, die sich den genannten Kritikpunkten stellt und berücksichtigt, dass bspw. der Ganztagsschulausbau, eine zielgerichtete Integrationspolitik sowie die Bedarfe einer tatsächlich inklusiven Schulgemeinschaft und die im Land in einem hohen Maß notwendigen Anforderungen aufholender Pädagogik in zukünftigen Personalbedarfsaufstellungen Berücksichtigung finden. 

Ebenso grundsätzlich muss der Frage nachgegangen werden, wie es gelingen kann, tatsächlich mehr technik-, zahlen- und naturwissenschaftsaffine junge Menschen für den Lehrberuf zu begeistern. Denn es, auch das zeigen die Prognosen, reicht nicht allein aus, die Zahl der Studienanfänger zu steigern, wenn sich diese vermehrt im Fach Deutsch auf Lehramt an Gymnasien einschreiben, zukünftig aber vor allem Mathe- und Informatiklehrer an Sekundarschulen fehlen. Dazu braucht es einen echten Paradigmenwechsel und Symbole eines bildungspolitischen Aufbruchs in Bezug auf die Ausstattung von Schulen und die Technik nutzenden didaktischen Konzepte. Hochqualifizierte Studienanfänger werden sonst weiterhin einen Bogen um das Lehramt machen, da MINT-Absolventinnen und -Absolventen in vielen anderen Berufsfeldern ein roter Teppich ausgerollt wird. Die jungen Menschen, die für das Lehramt geeignet sind oder die sich für das Lehramt interessieren, müssen unbedingt konsequenter und zielgerichteter beraten werden. Leider bestätigt eine Umfrage des Stifterverbandes, dass aktuell häufig jene Abiturienten Lehrerinnen und Lehrer werden wollen, die selbst schlechtere Noten schreiben, vor allem aber seltener ein hohes Selbstvertrauen und Resilienz gegenüber negativen Erfahrungen und Rückschlägen haben, außerdem ungern vor großen Gruppen reden. Hier gezielt zu unterstützen, um den anspruchsvollen Beruf gerecht werden zu können und in den Schulen außerdem frühzeitig diejenigen anzusprechen, die sich tatsächlich für diesen anspruchsvollen Beruf eignen, kann diesem negativen Trend entgegenwirken, wenn man gleichzeitig an den Arbeitsbedingungen im Beruf nachbessert. 

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf:

  1. Eine Bedarfsplanung an Lehrkräften bis 2030 vorzulegen, die die jüngst an den Daten der KMK vorgebrachte Kritik, die Bedarfe des Ganztagsschulausbaus, eine zielgerichtete Inklusionspolitik im Bildungsbereich und die besonderen Bedarfe aufholender Pädagogik berücksichtigt.
  2. Ein Konzept der frühen Ansprache von Schülerinnen und Schülern vorzulegen, um sie mit einem gezielten Recruitment für eine Lehramtsausbildung beraten und begeistern zu können.
  3. Zu prüfen, ob die Kontingente in den Lehramtsstudiengängen ausreichend sind und hier ggf. eine Aufstockung auch in Bezug der für das Studium notwendigen Ressourcen zu veranlassen.
  4. Zu prüfen, ob geltende Zulassungsbeschränkungen tatsächlich inhaltlich begründet sind und ob sie sich angesichts des errechneten Bedarfs an qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern nicht nachhaltig auf eine abgesicherte Versorgung des Bildungsbetriebs mit Fachpersonal auswirken.
  5. Zu prüfen, ob die Ausbildung der Referendarinnen und Referendare langfristig und nachhaltig abgesichert ist und Engpässe, etwa durch fehlende ausbildende Lehrkräfte, in jedem Fall verhindert werden können.
  6. Zu prüfen, wie es diejenigen Studierenden, die noch während ihrer eigenen Qualifizierungsphase an Schulen im Land tätig sind, ermöglicht werden kann, ihr Studium abzuschließen und wie sie gleichzeitig die fachliche und mentale Unterstützung finden, die Herausforderungen der beruflichen Wirklichkeit adäquat aufzuarbeiten.
  7. Aktiv Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger anzuwerben und ihnen einen attraktiven, für die Berufswirklichkeit tatsächlich qualifizierenden Vorbereitungsdienst zu ermöglichen, der berufsbegleitend oder in Teilzeit absolviert werden kann sowie vorausgehende Studienleistungen und Berufserfahrungen adäquat berücksichtig.
  8. Ein vereinfachtes Anforderungsprofil für alle Lehramtsfächer vorzulegen, die im Zweit- oder Zusatzfach nachgeholt werden und eine Option auf Fernstudium organisatorisch zu eröffnen.
  9. Zu ermöglichen, dass Lehrkräften, die ihre Lehramtsqualifikation in Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten) erworben haben, ihre Qualifikation nach den bisher nur für EU-Bürger geltenden Regeln erleichtert anerkennen lassen können. Sie erhalten im Bedarfsfall einen individuell zugeschnittenen Anpassungslehrgang, um später als Lehrkraft mit (vollem) Lehramt an Schulen eingesetzt werden zu können.
  10. Der Deputation für Kinder und Bildung sechs Monat nach Beschlussfassung über die einzelnen Punkte zu berichten.