Chancengerechtigkeit durch Zukunftsscouts an weiterführenden Schulen erhöhen

Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FDP.

In Deutschland wachsen nach dem jüngsten Armutsbericht der Bertelsmann Stiftung 21,3 Prozent der unter 18-Jährigen in Armut auf. Dabei nennt der Bericht regional sehr starke Unterschiede, wobei Bremen mit 31,6 Prozent einen traurigen Spitzenplatz einnimmt. 

Alle Studien zu Armut in Deutschland zeigen, wie eng Bildung und Wohlstand miteinander verbunden sind. Vor allem junge Menschen mit niedrigem Schulabschluss und ohne Berufsausbildung sind von Armut bedroht. Vor diesem Hintergrund muss die hohe Zahl der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Abschluss (siehe dazu die Berichtsbitte der FDP-Fraktion in der Deputation für Kinder und Bildung (Land) VL 20/3489) als Alarmsignal für dringend notwendige Veränderungen gedeutet werden.

Die Antworten zur Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion zur Situation der Straßenjugendlichen und Sofa-Hopper in Bremen (Drs 20/430 S zur Drs 20/400 S) zeigen, wie schnell sich die prekäre Lebenssituation für Jugendliche in Bremen bis hin zur Obdachlosigkeit zuspitzen kann. Nach Schätzungen der Träger der Initiative [an]docken betreiben etwa 180-250 junge Menschen Sofa-Hopping, Tendenz steigend.

Die Armutsbiographien zeigen, wann und wo Hilfen zukünftig ansetzen müssen, um ein selbstbestimmtes und finanziell unabhängiges Leben zu ermöglichen. Am Ende der Schulpflichtzeit fehlen Informationen über Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten ab Klasse 10. Fehlendes ökonomisches Wissen führt dazu, das prekäre Situationen schnell essentiell werden, besonders dann, wenn die Familie nicht finanziell oder organisatorisch unter die Arme greifen kann. Mit der Unkenntnis über die Krankenversicherungspflicht öffnet sich schnell eine Schuldenfalle, wenn sich junge Menschen nach der Kündigung ihrer Arbeit nicht beim Jobcenter melden, sondern selbständig nach einer neuen Arbeitsstelle suchen. Dabei bauen sich ohne ihr Wissen erhebliche Schulden bei der Krankenversicherung auf, die sie oft lange begleiten und andere Schulden nach sich ziehen. 

Oft bestehen Hürden auch in komplizierten Beantragungsverfahren und einer als intransparent empfundenen Behördenkommunikation. So geht bereits gefundener Wohnraum wieder verloren geht, weil Vermieterinnen und Vermieter zu lange auf die Bestätigung des Jobcenters zur Kostenübernahme warten müssen. Aber auch der komplizierte und mit langen Wartezeiten verbundene Weg in die professionelle psychosoziale, psychiatrische und psychotherapeutische Unterstützung führt dazu, dass persönliche Probleme nicht überwunden werden.

Diese Alltagsbeobachtungen lassen sich auch mit Studien stützen, das Ergebnis ist immer gleich: Existentiell kritisch wird es am Ende der Schulzeit und in den unmittelbaren Jahren danach. Für positive Erwerbsbiographien müssen also die Weichen noch in der Schulzeit gestellt werden. Das gestaffelte Verfahren der Berufsberatung in den Klassenstufen 7 bis 10, was gerade an vielen Oberschulen im Land Bremen gut funktioniert, ist dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die vielen Jugendlichen ohne Schulabschluss aber lassen keine Zweifel daran, dass weitere Stellhebel bedient werden müssen, um tatsächlich Perspektiven zu eröffnen. Dazu kann nach Hamburger Vorbild ein massiver Ausbau der Ganztagsschulstruktur auch für die weiterführenden Schulen beitragen. Es sind aber auch Aufstiegspatenschaften, die in den Schulalltag eingebunden werden können, um Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern den Weg zu Schul- und Berufsbildungsabschlüssen oder an die Hochschule zu ebnen. 

Die Organisation ArbeiterKind.de etwa führt exemplarisch vor, wie durch die pragmatische Beratung zu Fragen der Studienfinanzierung, der Bewerbung für Stipendien oder für die Planung von Auslandssemestern auch Jugendliche aus nichtakademischen Familien Hilfe finden. Entsprechend können für die Schulen beispielsweise in Kooperation mit der Jugendberufsagentur oder den Kammern und Hochschulen des Landes Aufstiegsscouts geschaffen werden, die den Schülerinnen und Schüler vertraute und ständige Begleiter sind, die kleinteilig, individuell und engmaschig vor Ort beraten und gezielt diejenigen ansprechen, die Hilfe brauchen. Die Debatte um den Antrag der CDU zur Zukunft der Jugendberufsagentur (Drs 20/945) hat gezeigt, dass es gerade für den Aspekt der niederschwelligen Beratung an Schulen noch Entwicklungspotential gibt. Auch hier kann Hamburg zum Vorbild werden: Sog. BOSO-Teams, bestehend aus einem Beauftragten der Schule, einer Vertreterin/einem Vertreter der Berufsschullehrkräfte der kooperierenden Berufsschule und zwei Vertreterinnen/Vertreter der Jugendberufsagentur sind, bieten oft an mehreren Tagen in den weiterführenden Schulen gemeinsam Hilfe und Beratung an. Nur so können viele Jugendliche die Erbschaftsfalle Armut verlassen.

Schon heute werden diese Aufgaben in Schulen übernommen – bisweilen von engagierten Lehrerinnen und Lehrern, manchmal von Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern. Immer aber ist es vom Zufall der Schulwahl abhängig, wieviel Unterstützung Schülerinnen und Schüler an ihrem Lernort finden. Erst eine systematische Ausstattung aller Schulen mit entsprechend professionalisierten Spezialistinnen und Spezialisten gewährleistet, dass der Unterstützungsbedarf jeder Schülerin und jedes Schülers gedeckt wird. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass sich Lehrkräfte wieder verstärkt auf ihre zentrale Aufgabe der Wissensvermittlung konzentrieren können. 

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf:

  1. Ein Konzept für Aufstiegsscouts an allen weiterführenden Schulen vorzulegen, die in Kooperation mit der Jugendberufsagentur, den Kammern und Hochschulen eine engmaschige Beratung in allen Fragen der Zukunftsgestaltung unmittelbar vor Ort in den Schulen ermöglichen und als regelmäßig präsenter Ansprechpartner für die Schülerinnen und Schüler zur Verfügung stehen.
  2. Zu prüfen, wie das Angebot an professioneller psychosozialer, psychiatrischer und psychotherapeutischer Unterstützung bedarfsgerecht erweitert werden kann und dafür einen Ausbau- und Finanzplan vorzulegen.
  3. Zu prüfen, welche Verwaltungsvorgänge so beschleunigt werden können, dass sie sich in der Lebensrealität der jungen Menschen nicht behindernd auswirken.
  4. Der Deputation für Soziales, Jugend und Integration und der Deputation für Kinder und Bildung innerhalb von 6 Monaten Bericht zu erstatten, in welcher Form und mit einem Zeitplan hinterlegt, die Beschlusspunkte umgesetzt werden können.