Zweiten Lockdown verhindern – mildere Alternativen prüfen, bisherige Regeln endlich konsequent umsetzen!

Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FDP.

Deutschland befindet sich aktuell in einer schwierigen und ernsten Lage. In den vergangenen Wochen hat die Zahl der mit Corona infizierten Menschen massiv zugenommen. Während sich Mitte September noch täglich zwischen 1.000 und 2.000 Personen mit dem Sars-Cov2 Virus infiziert haben, wurden am 30. Oktober 2020 18.681 Neuinfektionen innerhalb eines Tages in Deutschland gemeldet. Die Verdopplungszeit der Infizierten hat sich gegenüber den Sommermonaten deutlich verkürzt. Insgesamt hat auch die Zahl der Menschen zugenommen, die tatsächlich erkrankt sind und stationär behandelt, auf Intensivstationen versorgt oder sogar beatmet werden müssen. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, welche Dynamik das Corona-Virus entwickeln kann und welche Gefahr von dem Virus ausgeht. 

Am 28. Oktober 2020 hat sich die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder auf einen erneuten Corona-Lockdown ab dem 2. November 2020 verständigt. Dieser sieht verschiedene Maßnahmen vor: Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit soll für die Bürgerinnen und Bürger zukünftig nur mit den Angehörigen des eigenen und eines weiteren Haushaltes bis zu einer Gruppengröße zehn Personen möglich sein. 

Im Gegensatz zum Lockdown im Frühjahr bleiben diesmal die Schulen, Kindergärten und der Einzelhandel offen. Geschlossen werden aber Gastronomiebetriebe, Bars und Einrichtungen der Freizeitgestaltung, wie Theater, Kinos oder Fitnessstudios. Dazu kommt, dass die Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege, in denen körpernahe Dienstleistungen erbracht werden, ausgenommen Friseure, geschlossen werden.

Die Landesregierungen – sofern sie den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz folgen – greifen damit erheblich in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. Diese schweren Grundrechtseingriffe bedürfen jeweils einzeln einer fundierten Begründung. Aus den zahlreichen Urteilen zu einzelnen Corona-Maßnahmen der vergangenen Wochen wurde deutlich, dass die Länder den Nachweis, ob eine Maßnahme tatsächlich geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist, in vielen Fällen bisher nicht erbringen können. Es besteht also auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass viele der nun von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossenen Maßnahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten werden. 

Wenn beispielsweise das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen vergleichsweise milde Maßnahmen wie eine Sperrstunde und ein Außerhausverkaufsverbot von Alkohol bereits im vorläufigen Verfahren außerkraftsetzt, dann ist zu vermuten, dass härtere Maßnahme wie die komplette Schließung der Gastronomie auch vom Gericht als unverhältnismäßig bewertet werden. Die Länder konnten nämlich bisher keinen geeigneten Nachweis erbringen, dass diese tatsächlich Treiber der Infektion sind. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) infizierten sich bisher die meisten Menschen Zuhause oder in Pflegeheimen. Der Anteil der Menschen, der sich etwa in Speisegaststätten oder im Theater ansteckt, wird meist nicht erfasst und bisher als gering bewertet. Gerade deshalb muss die Frage gestellt werden, ob die Schließung der Gastronomie und der kulturellen Spielstätten nicht sogar zu einer Beschleunigung der Infektionen beiträgt, da gemeinsame Essen und Feierlichkeiten zwangsweise stärker ins Private verlagert werden, wo die professionelle Umsetzung von Hygienekonzepten wie in der Gastronomie und Hotellerie in der Regel fehlt.

Auch wenn insgesamt nur etwa ein Viertel der Infektionswege nachvollzogen werden können, sind die Zahlen stets im Sinne einer Stichprobe ein guter Indikator für das Ansteckungsgeschehen. Daher sollte an erster Stelle des politischen Handels die Durchsetzung der bereits getroffenen Maßnahmen stehen – etwa das Abstandhalten und die Kontaktbeschränkungen in der Öffentlichkeit. Im Sinne einer nachhaltigen Pandemiebekämpfung erscheint es problematisch, allein auf die Einschränkung der Bürger zu setzen. Auch der Staat ist hier in der Bringschuld, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Kern der Durchsetzung der betroffenen Maßnahmen ist etwa die Nachverfolgung der Kontakte, um die Infektionsketten früh und wirksam zu unterbrechen. Daher ist es unverständlich, dass die vergangenen Monate nicht genutzt wurden, die Gesundheitsämter zügig personell und technisch ausreichend auszustatten. Auch die digitalen Möglichkeiten der Kontaktverfolgung wurden vernachlässigt. Hier besteht größter Handlungsbedarf und zugleich dürfen staatliche Versäumnisse nicht zur Begründung für stärkere Grundrechtseingriffe am Parlament vorbei werden. 

Im Ziel sind sich alle einig: Die Infektionswelle muss so schnell wie möglich gebrochen werden. Die Politik ist aufgefordert, auf Vorschläge von besonnenen Expertinnen und Experten zu hören, und jede Maßnahmenverschärfung im Hinblick auf den Expertenrat und die Wirksamkeit mit Blick auf das Ziel und die Nebenwirkungen zu hinterfragen. Sie muss die sozialen Folgen des Lockdowns in die Abwägungen einbeziehen und auch die wirtschaftlichen Entwicklungen sowie die Verhältnismäßigkeit im Blick behalten. Viele Arbeitsplätze sind in Gefahr, 1,2 Millionen Haushalten in Deutschland droht das Abrutschen in die sozialen Sicherungssysteme. Finanzielle Hilfen müssen deshalb rechtzeitig und unmittelbar die Betroffenen erreichen, viele stehen sehr kurz vor dem Ruin. Dazu müssen auch solche Hilfen auf die Agenda, die nur mittelbar Betroffene stärken. Ansonsten droht spätestens mit Auslaufen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht eine große Insolvenzwelle, die massive soziale Verschiebungen der Gesamtgesellschaft zur Folge haben wird. 

In Bremen hat der Präsident des Senats bereits angekündigt, die weitreichenden Einschränkungen über eine Verordnung umsetzen zu wollen. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Senat zur Eindämmung der Pandemie alles tun muss, was geeignet, erforderlich, verhältnismäßig und angemessen ist, um die Bürger zu schützen. Die Maßnahmen, die die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen hat, sind in verschiedensten Bereichen nicht geeignet, erforderlich, verhältnismäßig und angemessen. Der Senat darf sie daher nicht vollständig umsetzen. 

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen,

die Bremische Bürgerschaft (Landtag) stellt fest:

  1. Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) hält die geplanten Kontaktbeschränkungen temporär für notwendig. Damit diese auch die notwendige Wirkung entfalten, muss die Landesregierung diese Verbote in der Öffentlichkeit bewerben, konsequent kontrollieren und durchsetzen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung darf bei der Durchsetzung der Kontaktbeschränkungen nicht angetastet werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen konsequent und mehrsprachig über die Maßnahmen zum Infektionsschutz informiert werden, diese Apelle zur Einhaltung der Schutzmaßnahmen müssen regelmäßig an die Bevölkerung erfolgen.
  2. Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) begrüßt die Bemühungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, die Schulen und Kitas weiter offen zu halten und fordert zugleich die konsequente Vorbereitung von Distanzunterricht und Notbetreuungskonzepten, sollte das Infektionsgeschehen eine Öffnung nicht mehr zu lassen. Die Umsetzung von Quarantäneregeln bei gleichzeitiger Sicherung des Rechtes auf Bildung muss sichergestellt werden. Zudem fordert sie die Anfangszeiten des Unterrichts der verschiedenen Lernkohorten weiter zu entzerren.
  3. Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) lehnt die vorgeschlagenen Schließungen von Instituten und Einrichtungen des Bereichs der Freizeitgestaltung ab, sofern ein tragfähiges Hygienekonzept vorliegt und sofern nicht belegt werden kann, dass Einrichtungsarten beziehungsweise die jeweiligen Branchen – abgesehen von Einzelfällen – zur Verbreitung des Corona-Virus beitragen.
  4. Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) lehnt das Verbot von Veranstaltungen im Freien – wie dem Weihnachtsmarkt in der Stadt Bremen – ab, solange mit einem geeigneten Hygienekonzept die Sicherheit vor Infektionen gewährleistet werden kann.
  5. Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) dankt allen Betrieben, Vereinen und Institutionen, die mit guten Hygienekonzepten in den vergangenen Monaten bewiesen haben, dass die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens in Deutschland auch unter Corona-Bedingungen möglich ist. 
  6. Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) hat die Absicht, zukünftig eine gesetzliche Grundlage basierend auf Artikel 80 Absatz 4 des Grundgesetzes zu schaffen, die sicherstellt, dass weitreichende Einschränkungen der Grundrechte nur mit Zustimmung der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) erfolgen können.

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf: 

  1. Den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz nur soweit umzusetzen, wie die daraus resultierenden Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen und somit verfassungskonform sind, um die Bürgerinnen und Bürger vor der Pandemie zu schützen. Ausdrücklich nicht geeignet sind Maßnahmen wie beispielsweise die Schließung von Restaurants mit tragfähigem Hygienekonzept, wo der Staat nicht belegen kann, dass es sich um Infektionsherde handelt.  
  2. Die auch bereits vor den neuen Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz bestehenden Regeln zum Abstand und Kontakt in der Öffentlichkeit zu bewerben, konsequent zu kontrollieren und durchzusetzen.  
  3. Das Infektionsgeschehen detailliert zu dokumentieren und zu evaluieren, um Maßnahmen, die dem Infektionsschutz dienen, künftig zielgenau und evidenzbasiert zu erlassen.
  4. Unverzüglich im Gesundheitsamt eine Personal- und Ausstattungssituation herzustellen, bei der eine erfolgreiche Kontaktnachverfolgung bei Infektionen zum Regelfall wird. Dafür sind insbesondere die Mittel der Digitalisierung zeitnah zu nutzen. 
  5. Zeitnah die Teststrategie mit dem Ziel weiter zu entwickeln, insbesondere die vulnerablen Gruppen zu schützen. Dabei ist zu prüfen, wie kurzfristig die Testkapazitäten ausgeweitet werden können, beispielsweise indem Laborkapazitäten aus dem Bereich der Lebensmittelüberwachung oder -kontrolle genutzt werden. 
  6. Für Schulen, Kitas und andere öffentliche Gebäude schnellstmöglich ein Konzept zu entwickeln, wie in Räumen, wo regelmäßig viele Menschen aufeinandertreffen, beispielsweise mit geeigneten Luftfilteranlagen, eine zusätzliche Sicherheit geschaffen werden kann.