Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei behaupten und Stärken

Antrag (Entschließung) der Fraktionen der FDP, CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen.

Wie in der ganzen Welt beobachten auch wir im Land Bremen die Ereignisse in der Türkei mit großer Sorge. Mit der Abwehr des Militärputsches vom 15. Juli und der breiten Ablehnung des Putschversuchs auch durch die parlamentarische Opposition und die Zivilgesellschaft sind die Voraussetzungen gestärkt worden, die fatale Tradition einer Ausschaltung der Demokratie durch das Militär und einer angemaßten Position des Militärs als vermeintliches oberstes Verfassungsorgan zu durchbrechen. Der Putschversuch von Teilen des Militärs und die darauf folgenden Reaktionen der amtierenden Regierung sind mit großer Sorgfalt zu beobachten. Demokratische und rechtsstaatliche Strukturen des Landes müssen jetzt gestärkt werden. Die derzeitigen Aktionen und Reaktionen in der Türkei müssen einen zukunftsorientierten Weg ebnen und in die Wertegemeinschaft der offenen Gesellschaften Europas führen.

Militärputsche waren noch nie eine angemessene Reaktion auf politische Probleme und haben politische Fragen noch nie im demokratisch-rechtsstaatlichen Sinne gelöst. Mit Entsetzen sehen wir auf sinnlos Getötete und Verletzte und trauern um die Opfer. Politische Reaktionen darauf müssen sich aber immer an den Prinzipien der Menschenrechte, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Massenentlassungen, Verhaftungen oder Einschränkungen der Freizügigkeit insbesondere von öffentlichen Bediensteten, Diskussionen um die Wiedereinführung der Todesstrafe, Schließungen von Medien, Schulen und Hoch- schulen sowie eine damit verbundene denunzierende und propagandistisch gefärbte Sprache beobachten wir mit großer Sorge und erwarten, dass kein Weg in ein totalitäres System eingeschlagen wird.

Demokratische politische Verhältnisse und Rechtsstaatlichkeit sind nicht nur elementar wichtig für die Menschen in der Türkei, sondern ganz Europa, Deutschland und Bremen sind vital an stabilen politischen Strukturen in der Türkei interessiert. Und dieses nicht nur, weil die Türkei ein wichtiger Partner in der Bewältigung regionaler politisch-militärischer Konflikte, zur Bekämpfung des Terrorismus und insbesondere zur Überwindung der Flüchtlingskrise und ihrer Ursachen ist. Nicht nur, weil eine weitere Destabilisierung einer ohnehin krisengeschüttelten Region weitere politische Risiken und weiteres Leid bedeuten. Sondern auch, weil mit Gewalt ausgetragene politische Konflikte der Region, insbesondere in der Türkei, auch das Risiko bergen, als Konflikt in unser Land ‚importiert‘ zu werden oder bestehende Konflikte zu verschärfen. Zugleich können solche Entwicklungen auch zu einer weiteren Stärkung der Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung Migranten in Deutschland führern. Wir wollen überall in Europa ein Klima, das auf gegenseitigen Respekt aufbaut und ein friedliches Miteinander als Basis hat.

Auch in Bremen kam es im Zuge des Putschversuches zu spontanen friedlichen Demonstrationen und nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen wie z.B. in Gelsenkirchen. Nicht nur das ist ein Indiz dafür, dass die Ereignisse insbesondere bei türkischstämmigen Mitbürgern kontrovers diskutiert werden und stark polarisieren. Türkischstämmige Menschen in Bremen und Bremerhaven haben verständliche Angst um ihre Angehörigen und Freunde in der Türkei. Auch beruflich-professionelle Beziehungen in die Türkei, z.B. im wissenschaftlichen Bereich, sind beeinträchtigt. So nachvollziehbar die politische, verwandtschaftliche oder anderweitig persönliche Betroffenheit ist: Es gilt die Erwartung, dass auch zukünftig politische Auseinandersetzungen mit der Kraft des Arguments friedlich nach den Spielregeln unseres Rechts und des Grundgesetzes zu geschehen haben. Gewaltloses Miteinander, insbesondere aber Toleranz und Respekt vorei- nander, vor anderen politischen und kulturellen Auffassungen sowie vor unterschiedlichen Ethnien, sind hier bei uns auch deshalb nachdrücklich anzumahnen, weil die mangelhafte Beachtung gerade dieser Grundsätze maßgeblich die Ursachen der Ereignisse und Konflikte in der Türkei und in Europa sind.

Wir haben und wir werden zu den laufenden und weiteren Entwicklungen in der Türkei deutlich Stellung beziehen. Dabei werden sich weder die deutsche Öffentlichkeit noch Regierungen und Parlamente durch direkte oder indirekte Drohungen, oder auch z.B. Einreisebeschränkungen wie jüngst Abgeordneten des Deutschen Bundestages gegenüber, unter Druck setzen lassen. Auch wenn es das Recht (und die Pflicht) eines jeden Staates ist, seine Rechtsordnung z.B. ge- gen unrechtmäßige oder gar gewaltsame Machtübernahme zu verteidigen, wirken für uns die Reaktionen auf den aktuellen Putschversuch überzogen. Unsere Erwartung ist: Alle Maßnahmen müssen mit der Rechtsordnung vereinbar sein und dürfen nicht als vermeintliche Gelegenheit zur Durchsetzung politischer Ziele oder sogenannter „Säuberungen“ genutzt werden. Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei scheint unrealistischer denn je, aber eine politische Isolation des Landes wäre die falsche Konsequenz. Im Gegenteil sind alle politischen und außerpolitischen Verbindungen zu und in das Land zu nutzen, um die Folgen der Ereignisse und Veränderungen für die Menschen zu mildern und den politischen Weg zurück zu einer demokratischen und rechtsstaatlichen Entwicklung zu unterstützen.

Vor diesem Hintergrund möge die Bremische Bürgerschaft (Landtag) beschließen:
  1. Die Bürgerschaft (Landtag) trauert um die Opfer des unrechtmäßigen Versuchs des Militärs, die politische Macht an sich zu reißen. Sie spricht allen Angehörigen und Freunden in der Türkei, aber auch in Deutschland und in Bremen ihr Mitgefühl aus. Die Bürgerschaft (Landtag) mahnt auch deshalb die unbedingte Rückkehr zu friedlichen Formen der Konfliktlösung, zur Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Mittel sowie zur Beson- nenheit und Mäßigung in Wort und Tat an. Nur so sind weitere Polarisierungen, eine Eskalation des Konfliktes und eine fortschreitende Vertiefung der Risse in der türkischen Gesellschaft aufzuhalten.
  2. Die Bürgerschaft (Landtag) teilt die Sorge um die Zukunft des türkischen Staates und seiner Zivilgesellschaft und fordert entschieden die Rückkehr zur Respektierung der elementaren Menschenrechte sowie die uneingeschränkte Anwendung der Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Einer möglichen ‚Nutzung‘ der Ereignisse um den versuchten Militärputsch in den Julitagen dieses Jahres zur Etablierung autoritärer staatlicher Strukturen treten wir entschieden entgegen.
  3. Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den türkischen Staat auf, willkürliche Verhaftungen, Entlassungen oder Einschränkungen anderer basaler Freiheitsrechte zu unterlassen. Sie erklärt, dass auch die Beschränkung von institutionellen Rechten und die unabhängigen

Wirkungsmöglichkeiten z.B. von Medien, aber auch von Einrichtungen in den Bereichen der Justiz, der Wissenschaft und der Bildung mit den Grundsätzen von Recht, Freiheit und Demokratie unvereinbar sind.

  1. Die Bürgerschaft (Landtag) verurteilt insbesondere mögliche Absichten, die Todesstrafe wieder einzuführen, nachdrücklich. Sogenannte ‚Säuberungen‘ sind weder in der Sache noch in der Begrifflichkeit mit einer rechtsstaatlichen, verhältnismäßigen oder angemessenen Reaktion vereinbar
  2. Die Bürgerschaft (Landtag) unterstützt die Bundesregierung sowie alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte, nach ihren Möglichkeiten Einfluss auf die Entwicklung in der Türkei zu nehmen, die die Folgen für die Menschen mildern, politische Stabilität fördern und die Rückkehr zu demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen unterstützen. Auch vielfältige private und berufliche Kontakte können hierzu einen Beitrag leisten.
  3. Die Bürgerschaft (Landtag) spricht sich gegen eine politische Isolierung der Türkei aus, die weniger der Regierung als den Menschen schaden würde. Auch wenn die Türkei zurzeit weiter denn je von den Grundsätzen und Standards der EU entfernt ist, bleibt die politische Zusammenarbeit mit der Türkei unverzichtbar. So sind die Bewältigung der Flüchtlingsentwicklung, vielfältige gewaltsame Konflikte in der Region und der internationale Terrorismus nur mit einem möglichst stabilen, geschlossenen und handlungsfähigen türkischen Staat denkbar. Politische Zusammenarbeit ist aber noch deutlicher an die Bedingung zu knüpfen, in den Feldern der Demokratisierung, der Rückkehr zu rechtsstaatlichen Strukturen und der Beachtung der Menschenrechte zu Fortschritten zu kommen.
  4. Die Bürgerschaft (Landtag) hat Verständnis für die Anteilnahme insbesondere türkischstämmiger Mitbürger in unseren beiden Städten an den Ereignissen und Entwicklungen in der Türkei. Der Dialog auf Gegenseitigkeit, auch mit den türkischen Vereinen und Ver- bänden, bleibt dabei die einzig akzeptable Form der gesellschaftlichen Auseinanderset- zung. Sie erwartet deshalb auch zukünftig friedliche und demokratische Formen der Meinungsäußerung und der Austragung unterschiedlicher politischer Positionen, die sich wie in der Türkei auch bei uns finden. Toleranz und gegenseitiger Respekt bleiben unab- dingbare Voraussetzungen jedweder Auseinandersetzung in der Sache und sind die bes- te Prävention vor politischer Gewalt. Einem ‚Import‘ des Konflikts ist ggf. auch mit den Mitteln des Rechtsstaats entgegenzutreten.

    Thomas Röwekamp und Fraktion der CDU
    Antje Brotheer, Björn Tschöpe und Fraktion der SPD
    Dr. Henrike Müller, Dr. Maike Schaefer und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
    Prof. Dr. Hauke Hilz, Lencke Steiner und Fraktion der FDP

    Antrag auf der Seite der Bremischen Bürgerschaft