Wie wandelt sich Bildung in Zeiten von Corona?

Große Anfrage der Fraktion der FDP.

Ab dem 16. März 2020 wurden die Schulen und Kindertageseinrichtungen im Land Bremen geschlossen. Spätestens seit den Osterferien ist klar, dass es kein schnelles „Zurück zum Normalbetrieb“ in Bremen und Bremerhaven geben wird und Einschränkungen noch über Monate den Bildungsalltag bestimmen werden. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob und wie lange dieser Zustand aufrechterhalten werden muss, um die Bevölkerung vor dem Virus SARS-CoV-2 zu schützen.

Menschen aber brauchen Perspektiven. Politik und Senat sind deshalb gefordert, schon jetzt Pläne für eine systematische Exit-Strategie bzw. einen möglicherweise länger andauernden Krisenmodus vorzulegen. Die Einschnitte sind so gravierend, dass sie inzwischen auch strukturell-organisatorische und inhaltliche Veränderungen einfordern, um Bremen und Bremerhaven im nationalen Bildungsvergleich nicht noch stärker abzuhängen und soziale Ungleichheiten und Bildungsbenachteiligungen nicht noch mehr zu verfestigen.


Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

Behördliche Veränderung
  1. Wie wurde in der Senatorischen Behörde für Kinder und Bildung strukturell auf die Krise reagiert? Welche Veränderungen von Zuständigkeiten, organisatorischen Abläufen und Entscheidungsebenen hat es gegeben bzw. sind geplant und welche zentral koordinierenden Ansprechpartner stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung?
  2. Wie bezieht die Senatorischen Behörde für Kinder und Bildung bislang einerseits die Fachkompetenz vor Ort in den Bildungseinrichtungen und andererseits die fachliche Meinung von nationalen und internationalen Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten in ihre Entscheidungen ein und wer soll für zukünftige Beratungen hinzugezogen werden?

Bildungs- und Erziehungsperspektiven
  1. Welche Szenarien werden in der Senatorischen Behörde für Kinder und Bildung vorbereitet, um den Bildungsbetrieb auch dann zu sichern, wenn Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote und verschärfte Hygieneregeln über Monate unseren Alltag bestimmen und wie sehen diese Szenarien im Detail aus?
  2. Für das Schuljahr 2019/2020 musste auf die Pandemie-Lage spontan reagiert werden. Dass dabei der Betreuungs- gegenüber dem Bildungsaspekt überwiegt, ist für einen begrenzten Zeitraum tragbar. Das Schuljahr 2020/2021 kann aber mit zeitlichem Vorlauf geplant und vorbereitet werden. Mit welchen Maßnahmen wird zukünftig der Bildungsaspekt wieder gestärkt?
  3. Das Schuljahr 2019/2020 wird sowohl in der fachlichen wie auch in der sozial-emotionalen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen belastende Spuren hinterlassen. Mit welchen Konzepten wird der Bildungsbetrieb auf diese Erfahrungen reagieren?
  4. Auch in diesem Jahr wechseln Kinder in die Kindertageseinrichtung, beginnen Kinder ihre Schullaufbahn oder wechseln in die weiterführenden Schulen. Innerhalb der Grundschulzeit oder in den Sekundarstufen I und II wechseln Kinder und Jugendliche die Schule bzw. die Fachlehrer. Die bestehende Dokumentation des Leistungs- und Entwicklungsstandes ist nicht geeignet, klare Lücken abzubilden (bspw. die Frage, ob schriftliche Division in Klasse 4 noch vermittelt werden konnte oder nicht). Wie wird für die Übergangsphasen und Wechselsituationen sichergestellt, dass die inhaltlichen Defizite durch Unterrichtsausfall und Homeschooling einerseits bekannt und dokumentiert sind und andererseits in den Folgejahren auch aufgeholt werden können?
  5. Übergangsrituale sind für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wichtig – wie kann auch unter den veränderten Bedingungen und unter Wahrung aller hygienischen Auflagen, beispielsweise ein Abschied von der Kita, die Einschulung oder die feierliche Zeugnisausgabe am Ende der Schullaufbahn und eine Form des gemeinsamen Feierns gestaltet werden?
  6. Wie wird mit Kindern und Jugendlichen umgegangen, die während eines laufenden Schuljahres (2019/2020 oder 2020/2021) nach Bremen ziehen? Mit welchen Maßnahmen wird die Integration in eine Klassengemeinschaft gewährleistet und wie wird abgesichert, dass die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Eltern mit den Bedingungen des Home-Schoolings in Bremen und Bremerhaven vertraut sind?
  7. Welche Konzepte sichern auch unter gewandelten Bedingungen zukünftig soziales Lernen ab und welche Methoden der Lernmotivation sollen greifen, wenn der unmittelbare Austausch nur begrenzt stattfinden kann?
  8. Mit welchen Formen und Konzepten wird sowohl in der Kita als auch in der Schule zukünftig der unmittelbar-persönliche Austausch mit den Kindern und Jugendlichen gesichert?

Bauen in Zeiten von Corona
  1. Welche baulichen Veränderungen an den Bildungseinrichtungen sind notwendig, um beispielsweise die verschärften Hygieneregeln tatsächlich umsetzen zu können?
  2. Welche Aspekte sind beim Neubau von Schulen und Kitas zu beachten, um künftig für vergleichbare Krisen passgenau vorbereitet zu sein?
  3. Bei welchen Neubauten, die aktuell geplant oder gebaut werden, werden diese Erkenntnisse bereits berücksichtigt und welche Modifikationen zur ursprünglichen Planung werden jeweils realisiert?
  4. Die Schulen und Kindertagesstätten stehen momentan weitestgehend leer, das ist auch eine Chance, um die dringend notwenigen Sanierungen vorzunehmen und den Investitionsstau abzubauen: Welche Aus-, Um- und Sanierungsprojekte an Bremer Bildungseinrichtungen wurden in den letzten Wochen durchgeführt bzw. sollen zeitnah verwirklicht werden?
  5. Wie in der Deputation für Kinder und Bildung im Januar und Februar 2020 vorgestellt, wird für eine Reihe von Schulen in Vorbereitung auf das Schuljahr 2020/2021 die Erweiterung mit Mobilbauten notwendig – läuft der Aufbau dieser Mobilbauten trotz Corona planmäßig, an welchen Standorten konnten die Mobilbauten bereits errichtet werden und wo sind Verzögerungen im Projektablauf eingetreten?
  6. Inwieweit ist es möglich auch die Mobilbauten so umzurüsten, dass sie für den Unterricht unter den aktuellen Hygienebedingungen geeignet sind?

Personalmanagement
  1. Eine ganze Reihe von Funktionsstellen sind in den Bildungseinrichtungen unbesetzt. Die üblichen Prozesse über Findungskommissionen, Elternbeteiligungen und Bewerbungsgespräche sind schwer einzuhalten. Wie wurde der Prozess zur Besetzung dieser Stellen durch die Senatorische Behörde für Kinder und Bildung gewandelt bzw. digitalisiert, um abzusichern, dass es hier möglichst keine Verzögerungen gibt und in Zeiten jenseits des Regelbetriebs schnellstmöglich starke Teams in den Schulen operieren können?
  2. Welche Aus- und Weiterbildungen wurden und werden aktuell durchgeführt bzw. sind mit welchem Zeitplan in der Vorbereitung, um die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Erzieherinnen und Erzieher auf die veränderte Situation vorzubereiten?
  3. Intensive Entwicklungsgespräche mit den Eltern sind ein wichtiger Baustein in der Bremer Bildungsphilosophie, nun aber übernehmen die Eltern die Bildung und Betreuung der Kinder und Jugendlichen. Wie wird auf diese veränderte Situation reagiert und wie wird ein intensiver und gleichzeitig individueller Austausch über den Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler abgesichert?>
  4. Mit welchen anderen Entscheidungskompetenzen sind die Leitungsteams der Bildungseinrichtungen auf Grund ihrer Sachkenntnis zu Gebäuden, Teams sowie Kindern und Jugendlichen in Folge der Auswirkungen der Corona-Pandemie betraut worden und wie gestaltet sich diese Verschiebung von Entscheidungskompetenz in der Zukunft?
  5. Wie wurden bzw. werden die Lehrerinnen und Lehrer technisch ausgestattet, um die Arbeit im Homeoffice praktikabel zu gestalten und die Kommunikation in den Teams, mit der Leitung und mit den Eltern abzusichern?
  6. Ist es für alle Lehrerinnen und Lehrer verpflichtend, die implementierte Lernplattform „itslearning“ tatsächlich zu benutzen und wie ist perspektivisch der Umgang mit Lehrenden, die das nicht tun wollen?
  7. Wie bewertet der Senat die Möglichkeit, den Präsenzunterricht auch auf den Samstag auszudehnen?
  8. Momentan wird der Schwerpunkt nur auf die Hauptfächer gesetzt – welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten übernehmen die Lehrer, die diese Hauptfächer nicht unterrichten?
  9. Auch Lehrerinnen und Lehrer wie auch Erzieherinnen und Erzieher können zur Risikogruppe gehören – wie wandelt sich unter diesen Bedingungen die Zusammenarbeit in den Kollegien, welche Funktionen (etwa ein Back-Office) können von den Risikogruppen von Zuhause übernommen werden?
  10. Wie viele Schulen verfügen über Informationstechnische Assistenten und plant der Senat, mit wachsendem Einsatz technischer Medien auch die Anzahl der Informationstechnischen Assistenten an den Schulen zu erhöhen? Reichen die aktuellen Ausbildungskontingente aus, auch einen zukünftig eher anwachsenden Bedarf an Informationstechnischen Assistenten zu decken?

Digitalisierung
  1. Bremen hat bereits vor einigen Jahren die Lernplattform „itslearning“ implementiert, die Akzeptanz dieses digitalen Austauschformats war sehr unterschiedlich, ist aber in Folge der Pandemie sicher gewachsen. Wie musste und muss hier einerseits technisch (etwa Serverkapazität) nachgesteuert werden, um tatsächlich die verbreitete Nutzung zu gewährleisten und mit welchen digitalen Weiterbildungsprogrammen (Webinare) werden die Schüler, Eltern und Lehrerinnen und Lehrer andererseits für den Umgang mit der Lernplattform fortgebildet?
  2. Wie wird an den Bildungseinrichtungen der Gebrauch einzelner Elemente digitaler Kommunikation (Soft- und Hardware) koordiniert und durch wen erfolgt die individuelle, auch technische Beratung zu digitalen Videokonferenzen im Klassenverband, für one-by-one-Betreuungen u. ä.? Werden perspektivisch dafür zusätzliche Stellen geschaffen werden müssen?
  3. Eine Lernplattform allein sichert keinen digitalen Unterricht, gleichzeitig ist angesichts der unklaren Entwicklungen unmissverständlich klar, dass dieser Form des Lernens die Zukunft gehört. Welche Formate und Methoden des digitalen Lernens werden in Zukunft den Bremer Bildungsalltag bestimmen, wie werden alle Beteiligten dafür qualifiziert und welche technische Ausstattung ist dafür erforderlich?