Alphabetisierung stärken – Weichen stellen für die Stärkung der Lese- und Schreibkompetenzen aller Menschen aus Bremen und Bremerhaven!

Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FDP.

Eine Vielzahl an Menschen sind von funktionalem Analphabetismus betroffen. In Bremen leben laut der Senatorin für Kinder und Bildung 50.000 Betroffene – also fast jeder zehnte Bürger!

Besonders vor dem Hintergrund der großen Dunkelziffer ist die Zahl alarmierend hoch. Eine Großzahl der Betroffenen verheimlicht ihre Lese- und Schreibschwäche über Jahre, entwickelt Vermeidungsstrategien und leidet unter permanenter Anspannung als funktionale Analphabetin oder funktionaler Analphabet erkannt zu werden. Viele alltägliche Tätigkeiten, Besorgungen und Wege, die allgemein als selbstverständlich angesehen werden, sind für Betroffene mit Hürden, Scham und emotionalem Stress verbunden und werden daher oft vermieden. Bereits der Einkauf im Supermarkt stellt Betroffene vor eine große Herausforderung, wenn Etiketten und Produktbezeichnungen nicht verstanden werden. Gravierender können die Auswirkungen sein, wenn es um die Beantwortung offizieller Briefe, die Orientierung in einem unbekannten Stadtteil oder die Wahrnehmung von Arzt- und Behördenterminen geht, bei denen häufig das Ausfüllen von Dokumenten, wie dem Anamnesebogen erforderlich ist.

Laut der LEO-Studie aus dem Jahr 2018 sind 12,1% der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands funktionale Analphabetinnen und Analphabeten. Dabei machen 46,8% Erwachsene über 45 Jahre aus. Der Trugschluss liegt nahe, dass es sich bei den Betroffenen um Menschen mit Zuwanderungsgeschichte handelt, jedoch sind mehr als die Hälfte der Betroffenen Muttersprachlerinnen und Muttersprachler. Bekannterweise öffnet Vorlesen Kindern die Welt der Schrift, jedoch erleben Betroffene häufig wenig Unterstützung vom Elternhaus, da diese oftmals ebenfalls unter funktionalem Analphabetismus leiden.

Es ist von besonderer Relevanz, Betroffene zu unterstützen und ihnen die Schwellenangst zu nehmen, denn es ist nie zu spät, lesen und schreiben zu lernen. Der Senat muss verstärkt dafür sorgen, dass Betroffene einen niedrigschwelligen Zugang zu Anlaufstellen erhalten, in denen sie bestmöglich unterstützt und beraten werden. Auch der Einsatz präventiver Unter- stützungsangebote zum Erlernen des Lesens und Schreibens muss dringend ausgebaut wer- den, denn wir möchten auf eine Zukunft hinarbeiten, in der gute Lese- und Schreibkompetenzen sowie ein hohes Grundbildungsniveau eine erreichbare Realität für alle Menschen aus Bremen und Bremerhaven darstellt.

Beschlussempfehlung:

Die Bremische Bürgerschaft fordert den Senat auf:

1. die Einrichtung niedrigschwelliger Anlaufstellen zur Information, Beratung und Vernetzung für Betroffene in Form von Grundbildungszentren, in denen ge- schulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Betroffenen und Angehörigen die Schwellenangst nehmen und diese bestmöglich beraten, zu prüfen und dar- zulegen, welche Maßnahmen aktuell für Betroffene zur Verfügung stehen.

2. zu prüfen, inwiefern technologieunterstütze Lernlösungen und die Gamifizie- rung von Lernprozessen bei der Alphabetisierung helfen können/kann.

3. informelle und niedrigschwellige Lernangebote/Weiterbildungsmaßnahmen sowie Formen des selbstorganisierten Lernens, die auf eine Verbesserung der Lese- und Schreibkompetenzen sowie des Grundbildungsniveaus Erwachse- ner abzielen, insbesondere auch unter Nutzung digitaler Instrumente, ver- stärkt einzubeziehen und anzubieten.

4. die Förderung von Familien mit Hilfe von präventiven Unterstützungsangebo- ten zum Erlernen des Lesens und Schreibens, wie dem „Family Literacy Pro- gramm“ auszubauen.

5. die Förderung der Lese- und Schreibkompetenzen in die Jugendberufshilfe zu implementieren, indem diese Jugendliche beim Nachholen eines Schulab- schlusses oder bei der Arbeitsvermittlung unterstützt.

6. die Forschungslage zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener insgesamt zu verbessern und auszubauen sowie eine qualitative Studie über die Ursachen für (funktionalen) Analphabetismus im schulischen Kontext zu führen und Handlungs- empfehlungen für die didaktische und methodische Vermittlungsarbeit bei betroffenen Schülerinnen und Schülern zu entwickeln.

7. der Deputation für Kinder und Bildung innerhalb von sechs Monaten einen Bericht zu erstatten, in welcher Form und mit einem Zeitplan hinterlegt, die Beschlusspunkte umgesetzt werden können.