Wohnsituation Geflüchteter in Bremen

Große Anfrage der FDP-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft

Flucht und Vertreibung bestimmen aktuell leider den Alltag vieler Menschen auf der Welt. Statistische Auswertungen von Migrationsbewegungen und -motiven zeigen, dass die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg und kriegerischen Konflikten fliehen in den letzten Jahren stark gestiegen und aktuell auf einem traurigen Rekordhoch ist. Laut dem Mid-Year Trends Report der UNHCR beträgt die Zahl der gewaltsam vertriebenen Menschen weltweit rund 103 Millionen, damit sind 13,6 Millionen Menschen mehr auf der Flucht als noch vor einem Jahr. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Zahl nahezu verdoppelt. Das bedeutet, dass sich mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung auf der Flucht befindet.

Die Unterbringung in Notunterkünften, oft unter unwürdigen Bedingungen, ist während der Flucht und oft auch am Zielort bittere Realität vieler Geflüchteter. Deutschland gehört neben der Türkei und Kolumbien sowie Pakistan und Uganda zu den fünf größten Aufnahmeländern für Geflüchtete. Hier finden Sie Schutz und Unterstützung sowie hoffentlich auch eine Perspektive für die weitere Lebensweggestaltung nach dieser tiefgreifenden, oft traumatisierenden Lebenserfahrung. Natürlich, auch das gehört zur Wahrheit dazu, ist es für die aufnehmenden Kommunen eine Herausforderung, Geflüchteten eine sichere Unterkunft und eine Lebensperspektive zu bieten. Soll das gelingen, ist es wichtig, dass sich im Bewusstsein dieser Herausforderung eine gesamte Stadtgemeinschaft dieser Aufgabe stellt und die Last gerecht auf alle Schultern verteilt. Natürlich braucht es organisatorische und logistische Zentren, wo alle die Geflüchteten betreffenden Bedarfe geklärt werden. Den Erstaufnahmeeinrichtungen in Bremen kommt dabei eine zentrale Funktion als Ankunftsort zu. Klar ist auch, dass viele Menschen hier nur kurzfristig unterkommen und anschließend im eigenen Stadtgebiet oder im Rahmen einer bundesweiten Umverteilung in anderen Gemeinden untergebracht werden. Auch diese Unterkünfte werden oft zeitlich begrenzt bewohnt, im glücklichsten Fall erfolgt der Umzug in eine eigene Wohnung, im schlechtesten eine unendliche Odyssee von Unterkunft zu Unterkunft. Eine solche Situation ist hoch unbefriedigend. Sie verhindert das Ankommen im Quartier, den Zugang zu Bildungs- und Qualifizierungsangeboten sowie den langfristigen Aufbau von sozialen Beziehungen mit der Bevölkerung vor Ort. Verteilen Städte Geflüchtete ungleichmäßig im Stadtgebiet bilden sich nicht selten in sich abgeschlossenen Zentren heraus, die, statt die Inklusion in die Stadtgemeinschaft zu fördern, die Exklusion verstärken. Diesem negativen Effekt kann man durch eine ausgewogene Verteilung über das gesamte Stadtgebiet vorbeugen. Dass es in Notsituationen immer wieder zu Ausnahmen kommt, ist dabei so verständlich wie hinnehmbar. Umso wichtiger ist es, die langfristige Aufnahmeplanung systematisch zu steuern und in allen Stadtteilen Orte des Lebens und Wohnens für Geflüchtete und bereits im Quartier Lebende zu schaffen, um ein Leben miteinander zu gestalten. 

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

1. In welchen Stadtbezirken befinden sich aktuell Erstaufnahmeeinrichtung und Landesaufnahmestellen, sind diese Kapazitäten ausreichend oder hält es der Senat für notwendig, weitere Filialen dieser Einrichtungen zu etablieren und wenn ja, wo könnten sich diese befinden?

2. In welchen Stadtbezirken befinden sich aktuell Übergangswohnheime (bitte nach Stadt- bzw. Ortsteilen aufschlüsseln) und wie viele Menschen können hier jeweils untergebracht werden?

3. In welchen Stadtbezirken wurden im Jahr 2022 für Übergangswohnheime (bitte nach Stadt- bzw. Ortsteilen aufschlüsseln) zusätzliche Kontingente geschaffen und wo entstehen aktuelle noch zusätzliche Kapazitäten in welcher Höhe?

4. In welchen Quartieren sind Geflüchtete bisher unterrepräsentiert, wie ist diese Tatsache begründet und werden diese Quartiere bei der Suche nach neuen Standorten für Übergangseinrichtungen prioritär aufgesucht – wenn nein, warum nicht?

5. Welche der Übergangswohnheime sprechen bestimmte Gruppen unter den Geflüchteten an (bspw. unbegleitete Minderjährige, Familien, Senioren oder Alleinerziehende mit Kind), welche Gründe waren ausschlaggebend, hier gruppenspezifisch unterzubringen und welche Ausstattungsmerkmale entsprechen den spezifischen Bedürfnissen der Geflüchteten am Ort?

6. Welche Formen der Not- bzw. Ersatzunterkünfte hat der Senat im Jahr 2022 geschaffen oder schafft sie aktuell (Zelte, Turnhallen, Mobilbauten), wo befinden sich diese und in welcher Größenordnung können hier jeweils Menschen untergebracht werden?

7. Welche der 2015/16 angeschafften Mobilbauten (Rotes Dorf etc.) und für Geflüchtete hergerichtete Unterkünfte stehen auch aktuell wieder zur Verfügung und welche können aus welchen Gründen nicht genutzt werden?

8. Welche Orte wurden noch identifiziert, um bei weiterem Bedarf auch im kommenden Kalenderjahr Not- bzw. Ersatzunterkünfte einrichten zu können (Turnhallen etc.) und nach welcher Prioritätenliste werden sie hergerichtet und bezogen?

9. Wie werden die Ortsbeiräte in die Planung von Unterkünften für Geflüchtete eingebunden und welche zusätzliche Unterstützung erhalten sie (personell, finanziell, organisatorisch), wenn eine neue Übergangseinrichtung im Quartier entsteht?

10. Welche zusätzlichen Angebote werden systematisch im jeweiligen Quartier geschaffen, wenn Übergangseinrichtungen entstehen, um soziale, medizinische und psychosoziale Bedarfe der im Quartier Ankommenden zu decken?

11. Welche Bildungs- und Integrationsangebote werden systematisch am Standort aufgebaut?

12. Wie werden Anwohnende über die Übergangseinrichtungen informiert und welche Maßnahmen werden systematisch durchgeführt, um den Austausch mit den Ankommenden zu stärken und Vorurteile abzubauen (Orte der Begegnung, gemeinsame Veranstaltungen etc.)?

13. Wie werden Bildungseinrichtungen (Kita und Schule) zusätzlich unterstützt, wenn sie große Zahlen geflüchteter Kinder und Jugendlicher aufnehmen?

14. Welche Spiel- und Betreuungsangebote gibt es an den Standorten, um ein Aufwachsen im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention zu ermöglichen?

15. An welchen Standorten konnten bisher Anlaufstellen geschaffen werden, die etwa den Zugang zur Vermittlung von langfristigem Wohnraum, zu finanzieller Unterstützung oder zu medizinischen und psychosozialen Hilfen moderieren?

16. In welchem Maß ist das städtische Angebot an psychosozialen Hilfen in den vergangenen fünf Jahren angewachsen, um Hilfe für die traumatischen Erfahrungen von Flucht und Vertreibung gewährleisten zu können und welche Formate bedienen diese Hilfen?

17. Wie wird das Angebot an allgemeinärztlicher und kinderärztlicher Versorgung sowie der der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung angepasst, wenn mehr Menschen in einen Bezirk strömen, welche Rückmeldungen hat der Senat hinsichtlich einer bedarfsgerechten Ausstattung mit diesen in den Quartieren und nach welchen Kriterien bemisst er die Auslastung?

18. Sind nach Einschätzungen des Senats die Kapazitäten für psychologische und psychosoziale Hilfen in Bremen ausreichend, um die Folgen von Flucht und Vertreibung aufzuarbeiten und auf Basis welcher Kriterien wird hier eine aktuelle und perspektivische Bedarfsplanung vorgenommen?

19. Welche Rückmeldung hat der Senat von den Arztpraxen in den Ankommensquartieren hinsichtlich ihrer Auslastung und wie wird ggf. bei formulierten Mehrbedarfen die medizinische Versorgung im Quartier gesichert? 

20. Hat der Senat Zielzahlen definiert, wie lange Menschen maximal in Notunterkünften wie Turnhallen oder Zeltstädten leben sollten, bis eine Vermittlung in langfristig zu nutzenden Wohnraum gelingt – wenn ja, wie sind diese, wenn nein, warum nicht?

21. Wie werden die Erfahrungen ehemaliger Bewohner von Erstaufnahmeeinrichtungen und Übergangswohnheimen genutzt, um im Sinne würdiger und unterstützender Wohnumgebung qualitätssichernde Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen?

22. Wo sieht der Senat zukünftig selbst Handlungsbedarfe, um die Unterbringung von Geflüchteten im Stadtgebiet und ihr Ankommen in unserer Stadt zu verbessern, um die gesellschaftliche Integration zu fördern?

23. Welche Mindestausstattung geht mit Übergangsquartieren (sowohl von der faktischen Ausstattung als auch mit möglichen Hilfen) verlässlich einher und ist jeweils bekannt, wer im Fall von auftretenden Konflikten und Unregelmäßigkeiten durch die Bewohnerinnen und Bewohner angesprochen werden kann und wenn ja, wie wird über diese Möglichkeit informiert?

24. Wie viel Zeit vergeht durchschnittlich vom Ankommen im Land bis zur ausländerrechtlichen Registrierung und zur Ausstellung eines gültigen Aufenthaltstitels und welche dieser Schritte können digital erfolgen?

25. Wie stark ist das Personal im Migrationsamt im Laufe des Jahres 2022 gemessen in Vollzeitäquivalenten aufgestockt worden und wie schätz der Senat auf Grund welcher Kriterien aktuell die bedarfsgerechte Personalausstattung ein?

26. Wie viel Wartezeit auf einen Termin muss durchschnittlich für einen Besuch im Migrationsamt eingeplant werden und welche Vorgänge sind als digitale Prozesse umgesetzt?

27. Für die Sicherung des Lebensunterhaltes und die Vermittlung in Arbeitsstellen, Sprachkurse sowie in weitere Qualifizierungen ist in vielen Fällen das Jobcenter zuständig. Wie viel Zeit vergeht in der Regel zwischen dem Ankommen in Bremen und der regelhaften Unterstützung zur Absicherung des Lebensunterhaltes durch das Jobcenter und welche schnellen Hilfen dienen in diesem Zeitraum als Überbrückung?

28. Wie viele der 2022 in Bremen angekommenen Geflüchteten konnten bisher in Arbeiten bzw. einen Sprachkurs und weitere Qualifizierungsangebote vermittelt werden?

29. Wie viele der in Bremen 2022 angekommenen Kinder unter sechs Jahren werden inzwischen in einer Kindertageseinrichtung betreut, wie viele Kinder über sechs Jahren besuchen regelhaft eine Bremer Schule und für wie viele wurden Überbrückungsmöglichkeiten geschaffen bis ein regulärer Schulplatz zur Verfügung steht?