Wie familienfreundlich sind Bremer und Bremerhavener Behörden und Eigenbetriebe?
Kleine Anfrage der Fraktion der FDP.
Familien sorgen für den Zusammenhalt der Gesellschaft, für Rücksichtnahme und Fürsorge. Daher muss eine familienfreundliche Perspektive Leitgedanke für das politische Handeln im Land Bremen sein.
Familien – damit einhergehend auch Familienpolitik – befinden sich stetig im Wandel. Das einst verbreitete Modell der Einverdienerhaushalte (der Mann geht arbeiten und die Frau kümmert sich um Haushalt, Kinder und andere Care-Aufgaben) etwa ist inzwischen in der Minderzahl. Heute wollen meist beide Elternteile arbeiten und brauchen häufig auch zwei Einkommen, um sich und ihre Familie vor Armut zu schützen. Manche Eltern erfahren als sogenannte Sandwich-Generation darüber hinaus eine Mehrfachbelastung: Sie betreuen ihre Kinder und unterstützen bzw. pflegen ihre Eltern oder andere Angehörige. Die anfallenden und unbezahlten Care- und Sorgearbeiten werden dabei zu einem überwiegenden Teil von Frauen erledigt.
Ferner gibt es immer mehr Allein- und Getrennterziehende, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, Familien mit Flucht- und Migrationshintergrund. Sie alle haben verschiedene Bedarfe, auf die eine nachhaltige Familienpolitik sorgsam eingehen muss. Familienpolitik im Land Bremen so zu gestalten, dass Familien in ihren vielfältigen Formen eine gute Lebensperspektive haben, muss erklärtes politisches Ziel sein.
Der achte Familienbericht der Bundesregierung stellt fest, dass Familien in der Regel Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren wollen. Im Alltag aber stehen sie vielfältigen Herausforderungen gegenüber: Aus einer mangelhaften Infrastruktur im Land Bremen (Kitaplatzangebot, hohe Defizite im Ganztagsschulausbau, eingeschränkte Betreuungszeiten, Verkehrsinfrastruktur etc.) resultiert eine strukturelle zeitliche Überbelastung. Diese hohe Zeitbelastung wirkt sich vor allem auf berufstätige Alleinerziehende, Eltern mit Vollzeittätigkeiten und Familien in besonderen Belastungssituationen (Krankheit, Schichtdienst etc.) noch einmal deutlich stärker aus. Die hohe Armutslage der Stadt generiert schwierige Lebenslagen und ungünstige Rahmenbedingungen für Kinder, Jugendliche, Eltern und Großeltern. Damit alle Familien, vor allem aber Kinder und Jugendliche größtmögliche Chancengleichheit und soziale Teilhabe erleben, müssen Familien in ihrem Alltag unterstützt werden.
Damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingt, sind – neben den Aspekten Mobilität, Wohnumfeldgestaltung und Infrastrukturangebote – gute Rahmenbedingungen nötig. Dazu gehören familienfreundliche Arbeitsbedingungen, ausreichendes Einkommen, wirklich verlässliche Kinderbetreuung und Zeit für das Familienleben, kurz die bestmögliche Vereinbarkeit der unterschiedlichsten Bedarfe familiärer Realitäten.
Um die besondere Bedeutung der Familienfreundlichkeit in Unternehmen und Behörden hervorzuheben, wird im Land Bremen an familienfreundliche Betriebe das Bremer Siegel „ausgezeichnet familienfreundlich“ verliehen. Zudem wird von der Hertie-Stiftung das Zertifikat „audit berufundfamilie“ vergeben. Diese Zertifikate helfen auch, im betrieblichen und behördlichen Ablauf dafür zu sensibilisieren, mit welchen, manchmal kleinen Maßnahmen, Erleichterungen geschaffen werden können. Die Sichtbarkeit dieser guten Praxisbeispiele ist wichtig, sie können die Idee der Familienfreundlichkeit in die Breite trage. Dieser Vorbildfunktion müssen vor allem auch Senat und öffentliche Verwaltung als gesellschaftliche Repräsentanten gerecht werden.
Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:
- Welche Form der ressortübergreifenden Zusammenarbeit zum Thema Familien und Familienpolitik findet
a) aktuell im Jahr 2021 statt, hat
b) in den vergangenen vier Jahren stattgefunden und ist
c) im Hinblick auf einen ressortübergreifenden Ansatz beim Thema Familie in Zukunft seitens des Senats geplant? - Auf welche Weise wird in den Bremer und Bremerhavener Behörden und Eigenbetrieben sichergestellt, dass für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichermaßen familienfreundliche Bedingungen herrschen? Bitte die verschiedenen Maßnahmen darstellen.
- Welche weiteren Siegel/Zertifikate gibt es in Bremen und Bremerhaven, neben den oben genannten, die familienfreundliche Betriebe auszeichnen?
- Wie bewertet der Senat die Aussagekraft der entsprechenden Siegel und Zertifikate in Bezug auf die Familienfreundlichkeit eines Betriebes, wie haben sich diese Siegel und Zertifikate in den letzten fünf Jahren entwickelt, und, wenn ja, wie werden diese Prozesse vom Senat begleitet?
- Welche Behörden, Ämter und Eigenbetriebe des Landes Bremen haben, das Bremer Siegel „ausgezeichnet familienfreundlich“, das Zertifikat „audit berufundfamilie“, ähnliche Zertifikate oder Siegel erhalten? Bitte jeweils mit Erstvergabejahr und Folgevergabejahr angeben.
- Welche Behörden, Ämter und Eigenbetriebe befinden sich noch im Prozess der Evaluierung für das Bremer Siegel „ausgezeichnet familienfreundlich“ beziehungsweise das Zertifikat „audit berufundfamilie“ oder für ähnliche Zertifikate?
- Wieso ist die Auszeichnung mit dem Siegel „ausgezeichnet familienfreundlich“ oder die Zertifizierung durch die Hertie-Stiftung „audit berufundfamilie“ in den vergangenen Jahren noch nicht in allen Bremer und Bremerhavener Behörden, Ämtern und Eigenbetrieben erfolgt, und gibt es Behörden, Ämter oder Eigenbetriebe, die weder die Verleihung des Siegels noch die Zertifizierung durch die Hertie-Stiftung anstreben? Wenn ja, warum? Bitte jeweils nach Behörde, Amt, Eigenbetrieb und Grund aufschlüsseln.
- Bis wann ist mit einer Verleihung des Siegels bzw. der Zertifizierung aller Bremer und Bremerhavener Behörden, Ämter und Eigenbetriebe zu rechnen?
- Haben sich die Vereinbarungen und Regelungen der Bremer und Bremerhavener Verwaltung hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Kinderbetreuung und anderer Care-Arbeit seit Beginn der Corona-Pandemie geändert, wenn ja, wie?
- Ist der Senat der Überzeugung, dass er dem verfassungsmäßigen Gebot auf eine Gleichstellung der Geschlechter hinzuwirken aktuell und in den letzten 10 Jahren vollumfänglich nachgekommen ist, und wie bewertet der Senat in diesem Zusammenhang etwa den seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz 2008 nach wie vor nicht bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuung im Land Bremen?