Licht ins Dunkel bringen: Gewaltstudie nach dem Vorbild Nordrhein-Westfalens auch in Bremen realisieren

Antrag der Fraktion der FDP.

In den vergangenen Tagen hat der Senat wichtige Stellhebel im aktiven Kampf gegen Gewalt an Frauen und Mädchen bewegt. Die am 1. März 2022 vorgestellte Vorlage „Istanbul-Konvention umsetzen. Bremer Landesaktionsplan – Frauen und Kinder vor Gewalt schützen“ stellt einen wichtigen Grundstein zu Umsetzung der Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt dar. 

Noch immer sind viele Frauen und Mädchen von Gewalt betroffen. Umso wichtiger war es, dass Bremen hier mit einer Gesamtstrategie zur Umsetzung der Istanbul-Konvention reagiert und einen Maßnahmenkatalog schnürt, der tatsächlich ein eindeutiges und unmissverständliches Zeichen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen setzt, um so deutlich auf diese Form der Menschenrechtsverletzungen in der Mitte unserer Gesellschaft zu reagieren. Der Aktionsplan reagiert auf die vielfachen Formen von Gewalt, denen Frauen und Mädchen ausgesetzt sind – häusliche, sexualisierte und digitale Gewalt – und stellt sich den vielschichtigen Themen wie Zwangsprostitution, Zwangsverheiratung, Female Genital Mutilation. Wichtig auch, dass der Aktionsplan deutlich macht, dass geschlechterbezogene Gewalt nicht von der Herkunft abhängig ist, gleichwohl aber anerkennt, dass Migrantinnen vielfach durch ihre Lebensumstände verstärkt von Gewalt betroffen sind, das Hilfesystem aber gleichzeitig nicht auf entsprechende Unterstützung ausgerichtet ist.

Um aber den Kreislauf von vor allem häuslicher Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu durchbrechen, muss parallel zu allen Hilfestrukturen auch das Thema der präventiven Täterarbeit behandelt werden. Wichtig deshalb der vom Senat eine Woche später vorgestellte Nachtrag zum Aktionsplan (Pressemitteilung vom 8. März 2022), der Geld für die Täterarbeit zur Verfügung stellt. Denn allein Geld-, Freiheits- oder Bewährungsstrafen halten die in der Regel männlichen Täter eben nicht davon ab, zukünftig wieder mit Gewalt auf Konflikte und Überforderung zu reagieren. Ihnen den Weg in ein gewaltfreies Leben zu ebenen, ist ein wichtiges Ziel.

Beide Beschlüsse stellen wichtige Meilensteine auf dem Weg in ein gewaltfreies Miteinander dar. Die Beschlusspunkte mit Leben zu füllen und die einzelnen Maßnahmenpakete so umzusetzen, dass sie ihre Wirkung tatsächlich entfalten können, ist nun die Herausforderung der Zukunft. Ob allerdings die beschriebenen Maßnahmen ausreichen, tatsächlich adäquat auf Gewalt an Mädchen und Frauen zu reagieren, kann momentan leider schwer eingeschätzt werden. Gewalt an Frauen und Mädchen findet häufig im familiären Umfeld statt, entsprechend vielfältig sind die Gründe, warum die Taten nicht zur Anzeige gebracht werden. Entsprechend hoch ist deshalb in diesem Bereich immer die Dunkelziffer, die es erschwert, ein klares Bild von Umfang und Ausmaß der Gewalttaten zu zeichnen. Die Antworten zur Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion „Wie hat sich die häusliche Gewalt in der Corona-Krise entwickelt?“ (DS 20/582) offenbaren leider, dass Dunkelzifferaussagen oft auf Studien beruhen, die fast zwanzig Jahre alt sind (Antwort 3). Verwiesen wird immer etwa immer wieder auf die Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen“ aus dem Jahr 2004. Seit dieser Zeit hat sich aber unsere Gesellschaft gewandelt – dass etwa digitale Gewalt heute eine ganz andere Gewichtung hat, ist leicht vorstellbar.

Wie schnell Einschätzungen zum Gewaltausmaß innerhalb einer Gesellschaft falsch sein können, zeigt die o.g. Kleine Anfrage ebenfalls. Ging man 2020 noch davon aus, dass pandemiebedingt die Fälle häuslicher Gewalt nicht zunehmen werden, sprechen die aktuellen Daten eine ganz andere Sprache. Umso wichtiger ist es, sollen Aktionspläne tatsächlich ihre Wirkung entfalten, aktualisierte Dunkelfeldstudien zu veranlassen. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat 2019 eine Dunkelfeldstudie zu Gewalt im Land veranlasst. Im September 2019 wurden 60.000 Bürgerinnen und Bürger in 81 Städten des Landes per Briefsendung zu ihren Gewalterfahrungen befragt. Im November lagen die Ergebnisse vor und wurden über ein halbes Jahr vom Landeskriminalamt ausgewertet. Die Studie nahm u. a. das Sicherheitsempfinden der Befragten sowohl im öffentlichen Raum als auch im privaten Umfeld in den Blick. Damit ist die Studie nicht nur zu einem wichtigen Leitfaden für den Umgang mit häuslicher Gewalt geworden, sie liefert auch stadtplanerischen Unternehmungen Aufschluss darüber, wo die Bedingungen für Gewalt und Bedrohung reduziert werden müssen.

Aufschlussreich sind auch die ausgewerteten Erfahrungen mit Gewaltkriminalität, die unabhängig vom eigenen Anzeigeverhalten und einer späteren Strafverfolgung abgefragt wurden. So hebt die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, Ina Scharrenbach hervor: „Eine wichtige Erkenntnis aus den Ergebnissen der Studie ist, dass wir unsere Präventionsarbeit weiter ausbauen werden. Gewaltopfer bringen Straftaten zu wenig zur Anzeige.“ Sie betont außerdem, dass Opfer stärker zu ermutigen sind, die Taten wirklich zur Anzeige zu bringen. Außerdem müssen sie einfacher Zugang zu Hilfen finden.

Die Studie aus Nordrhein-Westfalen ist deshalb auch für das Land Bremen aufschlussreich. Sie zeigt, wie wichtig aktuelle Daten sind, will man zukünftig tatsächlich zielgerichtet Gewalttaten verhindern und Opfern die nötige Unterstützung zukommen lassen. Deshalb muss das Land Bremen dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen folgen und eine gleich angelegte Studie veranlassen. Nur diese Daten erlauben eine Aussage darüber, ob der vorgestellte Aktionsplan im richtigen Ausmaß auf eine Problemlage reagiert, die bisher nicht in allen Punkten sicher beschrieben werden kann. Auf Basis dieser Daten wäre es Bremen auch möglich, einen sinnvollen Beitrag zu Arbeit der Bund-Länder Arbeitsgruppe (BLAG) zur Bekämpfung von geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten zu leisten und tatsächlich die Themen zu identifizieren, die sinnvoll behandelt werden müssen, will man diesem Gewaltbereich aktiv entgegentreten. Zwar ist sich der Senator für Inneres (Berichtsbitte der FDP-Fraktion in der Staatlichen Deputation für Inneres, Vorlagen-Nr. 20/244) nach eigener Aussage „der herausragenden Bedeutung des in Rede stehenden Phänomenbereichs bewusst, gleichwohl ist Bremen zum aktuellen Zeitpunkt nicht aktiv an der BLAG beteiligt“, will aber die geplante Bund-Länder-Umfrage kooperativ unterstützen. Da die BLAG allerdings noch dabei ist, die „konkrete Begriffsbestimmung der Phänomenbereichs der geschlechtsspezifischen gegen Frauen gerichteten Straftaten“ vorzunehmen, bleibt Bremen die Zeit, eine solide Datengrundlage für das Land vorlegen und sich entsprechend konstruktiv in die BLAG einbringen zu können. So könnten die für Bremen relevanten Themen nicht erst – wie die o. g. Berichtsbitte vorschlägt – mit der entwickelten Begriffsbestimmung und im Rahmen der BLAG-Umfrage erarbeitet werden, sondern sind spezifisch auf die Lage im Land zugeschnitten. Nur so ist es möglich, aktiv und passgenau den Gewaltschutz für Frauen und Kinder im Land zu verbessern und den eigenen Aktionsplan evaluieren zu können. 

Der Punkt der Umsetzung von barrierearmen Hilfen kann schon heute Eingang in die Arbeit der Zuständigen finden. Vielfach fällt auf, dass Hilfeseiten aufwendige Registrierungen verlangen, bevor das persönliche Problem beschrieben und Hilfe gefunden werden kann. Nicht funktionierende Webseiten und unbesetzte Hilfetelefone erschweren den Zugang. Mit Blick auf Mehrsprachigkeit, vereinfachte Sprache und mit einer erhöhten Sensibilität dafür, in welcher aktuell emotional angespannten Situation sich Opfer befinden, müssen zukünftig alle Hilfeformate schnell erreichbar und einfach verständlich sein. Hier ein schlüssiges Konzept stringent zu verfolgen, muss Anspruch aller Beteiligten sein, um tatsächlich Hilfe zu jenen zu bringen, die sie unbedingt brauchen.

Vor diesem Hintergrund fordern wir den Senat auf, die eingangs genannten und in ihrer Wichtigkeit unbedingt zu betonenden Unternehmungen durch zwei Punkte zu ergänzen.

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf:

  1. Sich dazu zu verpflichten, alle Informationen und Hilfen barrierearm und niederschwellig so miteinander zu verzahnen, dass von den Betroffenen Unterstützung unkompliziert gefunden und rund um die Uhr erreicht werden kann.
  2. Eine Dunkelfeldstudie nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen auch für das Land Bremen zu veranlassen, um den in der Vorlage „Istanbul-Konvention umsetzen. Bremer Landesaktionsplan – Frauen und Kinder vor Gewalt schützen“ Maßnahmenkatalog der aktuellen Situation im Land anpassen zu können. 
  3. Der Deputation für Soziales, Jugend und Integration, der Deputation für Inneres und dem Gleichstellungsausschuss der Frau innerhalb von 6 Monaten Bericht zu erstatten, in welcher Form und mit einem Zeitplan hinterlegt, die Beschlusspunkte umgesetzt werden können.