Hinschauen statt wegsehen! Alleinerziehende ghanaische und nigerianische Frauen und ihre Kinder ernst nehmen und passgenau unterstüzen.

Kleine Anfrage der Fraktion der FDP.

Momentan (Stand Februar 2021) stehen in der Stadt 374 alleinerziehende Frauen aus Nigeria und 485 Frauen aus Ghana im Leistungsbezug des Bremer Jobcenters. Unter den 6773 Alleinerziehenden in Bremen Stadt sind sie mit 12,74 Prozent vertreten. Die Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport gibt an, dass sich aktuell 424 Frauen mit 580 Kindern aus Nigeria und Ghana in der Landesaufnahmestelle bzw. den Übergangswohneinrichtungen der Stadt aufhalten (Stand Februar 2021). Sie werden als homogene Gruppe gemeinsam untergebracht.

Die Antworten zur Kleinen Anfrage „Missbräuchliche Vaterschaftserkennung zur Erschleichung von Aufenthaltstitel und Sozialleistung – Wie ist die Situation in Bremen?“ (Drs. 20/720 und 20/623) haben verschiedene Fragen aufgeworfen. Dazu legen Medienberichte und Recherchen nahe, dass einige der in Deutschland lebenden Frauen aus Nigeria und Ghana über ein anderes europäisches Land geschleust wurden, schwanger nach Deutschland kamen oder hier schwanger wurden. Durch die Vaterschaftsanerkennung erhält das ungeborene Kind die deutsche Staatsbürgerschaft und die Familie eine Absicherung in den sozialen Sicherungssystemen. Das bedeutet, dass alle Hilfs- und Qualifizierungsmaßnahmen über das Jobcenter koordiniert werden. Auf Medienanfrage bestätigte ein Sprecher der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport dieses Verfahren und sprach von einer Regelungslücke. 

In der Antwort 7 des Senats zur oben genannten Anfrage gibt es Formulierungen, die Anlass zur Sorge um die Frauen und ihre Kinder geben. Hier heißt es, dass Informationen darüber vorlägen, “dass die Frauen für die Vermittlung an den die Vaterschaft anerkennenden Mann ein Entgelt in Höhe von 3.500 Euro bis 5.000 Euro zahlen müssen.“ Zwar konnten die Informationen in den Ermittlungsverfahren (zum Zeitpunkt der Antwort des Senats) nicht näher verifiziert werden, da die Beteiligten am Ende grundsätzlich ihr gesetzliches Aussageverweigerungsrecht in Anspruch nahmen, doch bleiben diese „Spontanaussagen“ alarmierend. Der Senat selbst räumt in der Antwort zur Frage 8 ein, „dass Abhängigkeitsverhältnisse von den Männern ausgenutzt werden“ und formuliert für sich selbst die Frage und den damit verbundenen Handlungsauftrag, wie zukünftig „Kinder mit ihren Müttern vor potentiell „missbräuchlichen Abhängigkeitsverhältnissen besser geschützt werden können“.

Das Jobcenter ist in besonderer Weise gefordert, den Bedürfnissen der Frauen und ihrer Kinder aus Ghana und Nigeria gerecht zu werden. Sie werden hier von Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern  betreut, die zwar auf die Bedürfnisse Alleinerziehender spezialisiert, nicht aber dafür ausgebildet sind, passgenaue Hilfen für die Auswirkungen von Flucht und Vertreibung zu finden. Bremen ist hier doppelt gefordert: Der Schutz und die Bedürfnisse der Frauen und Kinder müssen im Vordergrund stehen, wobei passgenaue Unterstützungsangebote zu eröffnen sind, die nicht allein das Jobcenter offerieren kann. Die oben genannten Antworten des Senats auf die Kleine Anfrage (Drs. 20/720 und 20/623) deuten außerdem an, dass sich hier kriminelle Strukturen etablieren könnten. Diese von staatlicher Seite unbewusst zu unterstützen und dadurch möglicherweise die Abhängigkeitsverhältnisse für manche Frauen zu zementieren, muss unbedingt verhindert werden.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

  1. Wie werden die betroffenen Mütter und Kinder derzeit in Bremen untergebracht und wie wird sichergestellt, dass die Unterbringung und Begleitung in Einklang mit den Erfordernissen des Kinder- und Jugendschutzes bzw. im Sinne des Kindeswohls ist?
  2. Wie wird sichergestellt, dass die Frauen und ihre Kinder die erforderliche medizinische und psychologische Versorgung erhalten?
  3. Wie viele der Kinder der Frauen aus Ghana und Nigeria besuchen regelmäßig eine Kindertagesstätte und haben damit Zugang zu frühkindlicher Bildung und auf wie viele Einrichtungen/Gruppen sind sie verteilt?
  4. Wie viele Kinder besuchen regelmäßig eine allgemeinbildende Schule in Bremen und auf wie viele Schulen/Klassen sind sie verteilt?
  5. Welche sozial-emotionalen Hilfen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfen stehen den Kindern offen, um die spezifischen Rahmenbedingungen ihrer Kindheit (beispielsweise ungeklärte Vaterschaften, kein Kontakt zu den Vätern oder Erfahrungen von Flucht) aufzuarbeiten?
  6. Welche auf die betroffene Gruppe passenden Integrationsprogramme gibt es in Bremen, um den Kinder etwa über Sport und Vereine einen zusätzlichen Integrationsweg zu eröffnen?
  7. Durch welche spezifischen Angebote für Alleinerziehende können die betroffenen Frauen sinnvoll erreicht werden, um eine gesellschaftliche Integration (etwa über die Sprache) zu ermöglichen und die Chance auf Integration in den Arbeitsmarkt zu eröffnen?
  8. Wann und in welcher Form kooperiert das Jobcenter mit Migrationsbeauftragten, um die Situation der betroffenen Kundinnen und ihrer Kinder besser einschätzen und passgenaue Hilfen anbieten zu können?
  9. Wie kann in der Zusammenarbeit des Jobcenters mit den Kundinnen geklärt werden, ob sie unter dem Druck krimineller Organisationen leiden und werden sie über mögliche Auswege informiert, wenn ja, wie sehen diese Informationen und Auswege aus?
  10. Wie trägt das Jobcenter dazu bei, dass die Kundinnen gegebenenfalls ihren Opferstatus verlassen können und wie wirkt das Jobcenter daran mit, dass der potenzielle Rechtsbruch einerseits, aber andererseits auch die Opferrolle ihrer Kundinnen sichtbar gemacht und ihnen wirksam geholfen werden kann?
  11. Wie werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über städtische Hilfsangebote jenseits des Jobcenters informiert, wie hoch ist das Interesse an diesen Angeboten und wie wird die Qualität der Kooperation durch den Senat bewertet?
  12. Welche Maßnahmen, Förder- und Hilfsmöglichkeiten der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport gibt es, die gezielt auf die Bedürfnisse dieser Gruppe von Frauen ausgerichtet sind, die ggf. eine Perspektive auf ein Leben jenseits möglicher Abhängigkeitsverhältnisse eröffnen, auf die gezielt durch das Jobcenter verwiesen werden kann und wie gut werden diese Maßnahmen angenommen?
  13. Werden die betroffenen alleinerziehenden Frauen im Jobcenter jeweils von den „Spezialisten und Spezialistinnen für Alleinerziehende“ oder von den „Basisteams“ betreut (bitte angeben, wieviel jeweils duch welches Fachteam) und wovon ist diese Zuweisung abhängig?
  14. Unterscheidet sich die Form (Finanzen, Maßnahmen) der Unterstützung, wenn die Mütter aus Ghana und Nigeria in Bremen als Alleinerziehende oder in Partnerschaft, z.B. mit dem eingetragenen Vater des/der Kinder leben? 
  15. Aufgrund welcher Einschätzung können Arbeitsvermittler und -vermittlerinnen proaktiv und eigenverantwortlich entsprechende biographische Besonderheiten der Kundinnen kultursensibel und die Persönlichkeitsrechte wahrend erfassen?
  16. Wie wird der überdurchschnittliche Anteil der nachvollziehbar schwer in den Arbeitsmarkt zu vermittelnden Kundinnen-Gruppe innerhalb der  Ermittlungserfolge der Spezialistinnen und Spezialisten des Jobcentes, die für die Alleinerziehenden zuständig sind, berücksichtigt? 
  17. Bei wie vielen der genannten alleinerziehenden Frauen ist es in den vergangenen fünf Jahren gelungen, sie in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu vermitteln und bei wie vielen bestand dieses über die Probezeit hinaus?
  18. Wie bewertet der Senat die Erkenntnisse, dass es deutschlandweit kriminelle Strukturen gibt, die insbesondere Frauen und ihre (ungeborenen) Kinder aus Ghana und Nigeria einschleusen und über den Weg der Vaterschaftsanerkennung den Weg in die sozialen Sicherungssysteme ebnen?
  19. Aus welchen Gründen sind nach Auffassung des Senats in der Gruppe der Alleinerziehenden, die über den Weg der Vaterschaftsanerkennung Zugang zu sozialen Sicherungssystemen erhalten, Frauen aus den Ländern Ghana und Nigeria überrepräsentiert?
  20. Wann und in welcher Intensität ist die gesamte Thematik bisher an die Geschäftsführung des Jobcenters herangetragen worden und wie wurde in der internen Struktur darauf reagiert?
  21. Wie können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters einen möglichen Anfangsverdacht, dass Frauen unter dem Druck eines kriminelles Abhängigkeitsverhältnisses zu kriminellen Organisationen stehen, ihren Teamleitungen und übergeordneten Instanzen kommunizieren und welche Konsequenzen ergeben sich aus einer so geäußerten Vermutung im Sinne des behördlichen Verfahrensablaufes?
  22. In welchen offiziellen Formaten werden Informationen, die die Arbeitsvermittlerinnen und -vermittler aus Medien oder von Kolleginnen und Kollegen anderer Behörden, wie z.B. dem Standesamt, der Ausländerbehörde, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder der Polizei erhalten haben, weitergegeben? 
  23. Welche internen Fort- und Weiterbildungsprogramme der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Jobcenters qualifizieren diese für den Umgang mit Menschen, die zwar jetzt als Alleinerziehende betreut werden, aber die Erfahrungen von Flucht haben und die möglicherweise Opfer von kriminellen Organisationen geworden sind?
  24. Für welche Mitarbeitendenteams sind diese Fortbildungen verpflichtend? Sind diese Fortbildungen für das Team der Spezialisten für Alleinerziehende oder für das Basisteam freiwillig oder verpflichtend? Falls freiwillig, wie stark werden diese in Anspruch genommen?
  25. Welche zielgruppenspezifischen Qualifizierungen bietet das Jobcenter den Spezialisten und Spezialisten im eigenen Team an und welche Anweisungen und Sensibilisierungen werden von der Leitung des Jobcenters an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Spezifikation Alleinerziehende im Hinblick auf die Thematik weitergeleitet?
  26. Inwieweit kooperiert das Jobcenter hier mit Polizei und Staatsanwaltschaft, aber auch mit der Ausländerbehörde und/oder dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge? 
  27. Welche interbehördlichen Kooperationen bestehen und welche zivilgesellschaftlichen Organisationen werden in die Kooperation eingebunden?
  28. Welche Kenntnisse gibt es darüber, ob die Frauen, die versuchen, hier Fuß zu fassen, nach wie vor daran arbeiten müssen, ihre „Schulden“ bei den Schlepperbanden abzuzahlen?
  29. Inwiefern werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Standesamtes zum Thema missbräuchliche Vaterschafstanerkennung und dem möglichen Zusammenhang mit Schleuserkriminalität oder anderen Formen der Organsierten Kriminalität fortgebildet? 
  30. Inwieweit darf das Standesamt Informationen zu einem möglichen Verdachtsfalls in einem Vaterschaftsanerkennungsverfahren mit anderen Behörden, insbesondere mit dem Jobcenter, der Ausländerbehörde und den Strafverfolgungsbehörden teilen, wenn sich der Verdacht nicht ausreichend erhärten lässt? 
  31. Welche Kenntnis hat der Senat über die Präsenz, Aktivitäten und Vernetzung afrikanischer, mafiöser Strukturen, z. B. der Schwarzen Axt, in Bremen und kann in begründeten Fällen auch davon ausgegangen werden, dass sich hier eine Form des Menschanhandels etabliert? 
  32. Gibt es Indizien oder Hinweise darauf, dass manche der Frauen oder vielleicht auch Kinder gezwungen werden, in der Bremer Prostitution oder im Drogenhandel aktiv zu sein und wenn ja, wie wird ihnen geholfen, die Abhängigkeitskreisläufe zu durchbrechen?
  33. Welche Behörden sind in der Lage, über entsprechende Hilfsangebote zu informieren und in welchen Formen liegen die Informationen vor?
  34. Inwieweit beteiligt sich Bremen an der Umverteilung von schwangeren geflüchteten Frauen im Rahmen des Königssteiner Schlüssels und bis zu welcher Schwangerschaftswoche werden die Frauen auf andere Bundesländer umverteilt? 
  35. Welche Bundesländer verteilen schwangere geflüchtete Frauen um und bis zu welcher Schwangerschaftswoche werden die Frauen jeweils umverteilt? 
  36. Wie viele schwangere geflüchete Frauen aus Ghana und Nigeria sind derzeit in Bremen in Flüchtlingsunterkünften untergebracht und wie viele der schwangeren geflüchteten Frauen aus Ghana und Nigeria werden in anderen Bundesländern jeweils in Flüchtlingsunterkünften untergebracht und gibt es Statistiken darüber, in wie vielen Fälle bereits ein Vaterschaftsanerkennungsprozess eingeleitet ist?
  37. Inwieweit hält der Senat die bisherigen Regelungen von § 1597a des Bürgerlichen Gesetzbuches in Verbindung mit § 85a des Aufenthaltsgesetzes für ausreichend, um der Problematik der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung wirksam zu begegnen?
  38. Welche Ansätze verfolgt der Senat, um die in diesem Zusammenhang bestehende und vom Sprecher der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport in der BILD-Zeitung am 19. September 2020 bestätigte Regelungslücke zu schließen? 
  39. Welche Vorschläge sind dem Senat bekannt, wie Deutschland der Problematik der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung durch eine Anpassung geltenden Rechts begegnen könnte?
  40. Wie bewertet der Senat den Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen (Bundesratsdrucksache 586/20) bzw. inwieweit wäre dieser Vorschlag nach Ansicht des Senats geeignet, der Problematik der missbräuchlichen Vaterschafsanerkennung wirksam zu begegnen?