Brustkrebs-Fehlbehandlungen in Bremen: Wie konnte es zu diesem Versagen kommen und welche Konsequenzen resultieren daraus?
Große Anfrage der Fraktion der FDP Bremen.
Am 3. Dezember 2025 wurde bekannt, dass mindestens 34 Brustkrebs-Patientinnen in Bremen falsch behandelt wurden, weil eine Ärztin der Pathologie am Klinikum Bremen-Mitte ein Tumoroberflächenprofil über viele Monate hinweg fehlerhaft interpretiert hat. Der Krebs der Betroffenen wurde dadurch aggressiver eingestuft, als er war. In der Folge erhielten Frauen belastende Antikörper- und teilweise Chemotherapien, die medizinisch nicht indiziert gewesen waren – mit schweren Nebenwirkungen und möglichen Langzeitfolgen.
Laut Klinikverbund Gesundheit Nord sei der Vorfall umfassend aufgearbeitet worden: Nicht strukturelle oder technische Probleme sollen ursächlich gewesen sein, sondern die individuelle Fehlinterpretation der Pathologin.
Allerdings wirft der Fall, der das Vertrauen in das Gesundheitssystem erschüttert hat, zahlreiche Fragen auf. Dazu gehört, ob es sich tatsächlich um ein Kompetenz- oder doch um ein strukturelles Problem handelt und wie künftig Qualität und Transparenz der medizinischen Versorgung am Klinikum Bremen-Mitte gesichert werden.
Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:
- Wann haben Geschäftsführung und Aufsichtsrat des Klinikkonzerns Gesundheit Nord sowie das Gesundheitsressort Kenntnis von der fehlerhaften Interpretation der Tumoroberflächenprofile erlangt?
a. Welche Schritte wurden daraufhin veranlasst und durch wen?
b. Wann, wie und mit welchen Informationen hat das Institut bzw. der Klinikkonzern seine Kooperationspartner, wie die behandelnden Kliniken, Hämato-Onkologische-Praxen bzw. die behandelnden Ärzte der betroffenen Frauen, informiert und welcher Austausch besteht weiterhin?
c. Wann, wie und durch wen wurden die betroffenen Frauen informiert?
d. Wurden zudem Patientinnen ohne fehlerhafte Brustkrebs-Therapie über den Vorfall informiert? Wenn nein, warum nicht? - Wie viele Patientinnen sind nach aktuellem Stand von falschen Befunden betroffen?
a. Welche nicht indizierten Therapien wurden in Folge der Fehlinterpretation der Tumoroberflächenprofile appliziert?
b. Welche Auswirkungen auf die Krebserkrankung und Therapie resultieren daraus für die betroffenen Frauen?
c. Welche Langzeitfolgen können aus der Applikation der nicht indizierten Therapien resultieren?
d. Welche Konsequenzen können für eine erneute Krebserkrankung oder ein Rezidiv der Krebserkrankung resultieren im Zusammenhang mit der Applikation der nicht indizierten Therapie? - Welche Gewebeproben wurden nach Bekanntwerden der fehlerhaften Befundung durch wen neu überprüft und wie viele wurden dabei als falsch oder unklar beurteilt?
a. Bezog sich die Prüfung ausschließlich auf die Entität des Mammakarzinoms oder wurde im Rahmen der pathologischen Begutachtung noch weitere Krebsentitäten überprüft?
b. Wenn noch weitere Entitäten geprüft worden sind: Waren hier weitere Fehlinterpretationen zu erheben und wenn ja, konnte hier ein Zusammenhang zwischen dem Befund und der Fehlinterpretation hergestellt werden? - Wie wurde festgestellt, dass es sich um einen systematischen Fehler der Ärztin handelt und nicht um ein strukturelles Problem, und wie kann es dazu kommen, dass eine Mitarbeiterin einen solch systematischen Fehler begehen kann?
a. Wie und durch wen erfolgte die fachliche Einarbeitung der Mitarbeiterin und wer hat die Einarbeitungsfortschritte kontrolliert bzw. bewertet?
b. Wurde die Qualifikation der Ärztin in der Befundung von Brustkrebsfällen überprüft, nach welchen Kriterien und mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht und welche Prüfpflichten hat der Arbeitgeber im Bereich der Pathologie, bevor Mitarbeiter mit hochsensiblen diagnostischen Aufgaben betraut werden, und wurden diese erfüllt?
c. Welche kollegialen Fallbesprechungen hat es gegeben und warum kam – anders als an anderen Instituten – kein systematisches Vier-Augen-Prinzip zur Anwendung?
d. Welche Verfahren gab es, um die zeitliche Plausibilität von Befundungsabläufen zu überprüfen, und mit welchem Ergebnis wurden diese durchgeführt?
e. Welche Qualitäts- und Kontrollmechanismen existierten zum Zeitpunkt der Fehl-Befundungen, wurde deren Einhaltung dokumentiert und welche Empfehlungen gelten seitens der Fachgesellschaften?
f. Wie viele Stichproben und Ringuntersuchungen wurden in den vergangenen drei Jahren mit welchem Ergebnis durchgeführt und wie viele werden empfohlen?
g. Wurden im Qualitätsmanagement des Institutes die Empfehlungen der Fachgesellschaften für die Sicherung der Qualität lückenlos umgesetzt und standen die erforderlichen Ressourcen für eine Gewehrleistung dem Institut immer vollumfänglich zu Verfügung? - Wann erfolgt die Anforderung einer zusätzlicher Laboranalyse zur Absicherung eines Befunds?
- An welchen Tumorkonferenzen nehmen Patholgen des Instituts teil, welche sollten es gemäß Vorgaben der Deutschen Krebsgesellschaft sein und inwiefern wird die Teilnahme für notwendig erachtet?
- Welche Änderungen sind zwischenzeitlich hinsichtlich des Befundungsprozesses und der Kontrollmechanismen sowie der Personalstruktur und Arbeitsorganisation vorgenommen worden?
a. In welchen Fällen gilt das Vier-Augen-Prinzip, wird es systematisch angewendet und wie lauten die Empfehlungen der Fachgesellschaften?
b. Inwiefern werden die Maßnahmen als ausreichend erachtet, um die Zuverlässigkeit des Verfahrens nunmehr sicherzustellen? - Wie hat sich die Personalsituation am Institut für Pathologie am Klinikum Bremen-Mitte in den vergangenen fünf Jahren insgesamt und insbes. im Bereich der Mamma-Pathologie entwickelt?
a. Wie ist die Auslastung des Instituts und wie hat sie sich in den vergangenen fünf Jahren entwickelt?
b. Wurden in den vergangen drei Jahren vermehrt Überstunden, Personalausfälle oder -fluktuation dokumentiert oder gab es Hinweise auf eine anderweitige Überlastung?
c. Mit welchen anderweitigen Aufgaben sind die Ärztinnen und Ärzte betraut, die die Arbeitsbelastung ggf. erhöhen?
d. Mit welchem Ergebnis wurde überprüft, ob die pathologischen Leistungen im Zeitraum der fehlerhaften Befunde nach Prüfzeiten plausibel im Rahmen der vorhandenen Personalressourcen zu erbringen waren? - Wie gewährleisten andere Institute für Pathologie, bspw. in Göttingen und Hannover, ein zuverlässiges und qualitativ hochwertiges Befundungsverfahren?
- Mit welchem Ergebnis wurde untersucht, ob ähnliche Risiken und Fehler auch in anderen Karzinom-Bereichen vorliegen könnten und eine systemweite Überprüfung anzustoßen ist bzw. aus welchen Gründen dafür keine Notwendigkeit besteht?
- Wie viele verunsicherte Patientinnen und Patienten haben sich nach Kenntnis des Senats seit Bekanntwerden der Fehlbefunde mit Nachfragen zu Befunden und Therapien an die hiesigen Kliniken, behandelnden Ärzte, die Krankenkassen oder die Bremer Krebsgesellschaft gewandt?
- Welche medizinischen und psychologischen Informations- und Unterstützungs-angebote stehen den betroffenen Frauen zur Verfügung? Was wird seitens des Klinikkonzerns Gesundheit Nord angeboten? Wie ist die Inanspruchnahme der Angebote insgesamt?
- Wo erhalten die Betroffenen Unterstützung, um ihren Fall rechtlich überprüfen zu lassen und Schmerzensgeld- oder Schadensersatzansprüche durchzusetzen?
- Welche straf- und zivilrechtlichen Verfahren und Ansprüche der Kostenträger haben sich bislang aus den Fehlbefunden und den daraus resultierenden Fehlbehandlungen ergeben?
a. Wie viele Patientinnen haben sich diesbzgl, bereits an einen Fachanwalt, ihre Krankenkasse oder die Schlichtungsstelle der Ärztekammer gewandt?
b. Wurden Gutachter des Medizinischen Dienstes eingeschaltet und mit welchem Ergebnis? - Welche Schlüsse und Konsequenzen ziehen Geschäftsführung und Aufsichtsrat des Klinikkonzerns aus dem Vorfall, insbes. der Tatsache, dass die Überprüfung in Göttingen keinerlei Auffälligkeiten ergeben hat, und wie sollen Patientinnen und Patienten zukünftig besser vor systematischen Fehlern geschützt werden?
- Welche Maßnahmen planen Senat und Geschäftsführung der Gesundheit Nord, um das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die medizinische Versorgung und das Behandlungssystem wiederherzustellen?
- Wie werden die Mehraufwendungen und Schäden der externen Kooperationspartner des Klinikkonzerns Gesundheit Nord kompensiert, die Folgen der Fehlinterpretationen der Gewebeproben abzuwickeln, insbes. auch die Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Onkologen und Patientin?