Bremen steht in fester Verbundenheit an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer: Holodomor von 1932/33 als Völkermord anerkennen

Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FDP.

Noch immer tobt ein brutaler Angriffskrieg in der Ukraine. Ein russischer Angriff gefährdet die Unabhängigkeit des Landes. Umso wichtiger ist es, die Ukraine in ihrer Souveränität in vielfacher Hinsicht zu unterstützen. Spätestens mit der Maidan-Revolution in der Ukraine 2013/14 ist der Holodomor (ukrainisch Голодомор, Tötung durch Hunger) in der Ukraine 1932/33 ins Zentrum der ukrainischen nationalen Erinnerung gerückt. Eine erste große öffentliche Gedenkveranstaltung fand aus Anlass des 60. Jahrestages des Holodomor 1993 statt. Zu diesem Anlass wurde ein nationales Gedenkmonument in der Hauptstadt eingeweiht. Präsident Kutschma führte 1998 einen offiziellen Tag der Erinnerung an die Opfer des Holodomor ein. Seither ist der 4. Samstag im November der zentrale nationale Gedenktag. Mit dem Gedenken an die Opfer – in sowjetischer Zeit ein Tabu – distanziert sich das Land von der stalinistischen Gewaltherrschaft. Unter der Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko bemühte sich die ukrainische Regierung erstmalig darum, dass der Holodomor weltweit als Genozid am ukrainischen Volk anerkannt wird. Viele Länder folgen dieser Bewertung inzwischen.

Auch die internationale historische Forschung hat sich seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts intensiv mit einer der größten humanitären Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts auseinandergesetzt, in der im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ca. sechs bis sieben Millionen Menschen vor Hunger starben. An die zeitgenössische Öffentlichkeit drang wenig über die vielen Hungertoten, da die Sowjetunion das Thema gänzlich tabuisierte. Leider wird sich die genaue Zahl der Opfer nicht mehr ermitteln lassen, da standesamtliche Einträge nur unvollständig geführt wurden und die Behörden von Anfang an angewiesen wurden, die Hungeropfer nicht zu dokumentieren. Nach soliden Schätzungen darf heute davon ausgegangen werden, dass in der von Sowjet-Diktator Josef Stalin 1932/33 vorsätzlich ausgelösten Hungersnot im Gebiet der Ukraine mehr als fünf Millionen Menschen starben. Zwar gingen auf Grund schlechter Wetterbedingungen die Ernteerträge 1932 zurück, auf Grund der Zwangskollektivierung aber verstärkte sich dieser Effekt enorm, was die bolschewistische Führung durch Hochrechnung der Statistik verschleierte. In der Logik des Klassenkampfes war die Führung entschlossen, das Getreide in den Dörfern zu konfiszieren, um die Städter mit Brot zu versorgen und gleichzeitig die Bauern verhungern zu lassen. Das Signal an die Bauern war eindeutig: Wegen ihres Widerstands gegen die Kollektivierung sollten sie nachträglich bestraft und für die Zukunft diszipliniert werden. Gleichzeitig leugnete die sozialistische Führung die Hungersituation und unterband damit jede Hilfsmaßnahme aus dem In- oder Ausland. Die dennoch nach Westeuropa und Nordamerika drängenden Nachrichten verurteilte die Sowjetdiplomatie und Propaganda als antisowjetische Hetze. Zugleich wurde der Export von Getreide aus der Sowjetunion fortgesetzt. Gegenüber der heimischen Bevölkerung setze die Führung Naturalienstrafen durch, was in der Praxis dazu führte, dass Requirierungskommandos sämtliche Nahrungsmittel in den Dörfern konfiszierten. Damit lieferte man die Bauern dem sicheren Hungertot aus. Listen von Dörfern, gegen die vollständige Blockaden von Nahrungsmittellieferungen verhängt wurden sowie die zwangsweise Zurückweisung der Ausreisewilligen und Hilfesuchenden in ihre Heimatregionen, stützen die Bewertung als Völkermord an der ukrainischen Bevölkerung. 

Der Deutsche Bundestag musste sich 2019 im Petitionsausschuss mit der Frage auseinandersetzen, ob er den Holodomor als Völkermord anerkennt. Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt antwortet damals, dass es sich „um eine grauenvolle, schreckliche Hungerkatastrophe, die von Menschen zu verantworten ist und die zu Millionen von Hungertoten geführt hat“ handelt. Das führte allerdings nicht zu einer Einordnung als Genozid. Er verwies aber darauf, dass sich Deutschland der Erklärung zum 85. Holodomor-Jahrestag im Rahmen der 73. Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2018 ausdrücklich anschloss, es sich aber gleichzeitig nicht zu eigen macht, Ereignisse, die vor 1948 stattgefunden haben, völkerrechtlich als Genozid zu bezeichnen, denn erst seit dieser Zeit gibt es eine entsprechende Regelung im Völkerstrafrecht. 

Angesichts der aktuellen Situation muss die Diskussion, ob sich Deutschland den Ländern anschließt, die den Holodomor als Genozid am ukrainischen Volk anerkennen, noch einmal geführt werden. Hier ist das Land Bremen auf Grund der eindeutigen historischen Bewertung des Holodomor als Völkermord gefordert, mit der Anerkennung desselben die Ukraine in ihren Unabhängigkeitsbemühungen zu unterstützen.

Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

  1. Die Bremische Bürgerschaft steht in fester Solidarität an der Seite der Ukraine, den Ukrainerinnen und Ukrainer.
  1. Die Bremische Bürgerschaft erkennt auch den historischen Kontext des aktuellen völkerrechtswidrigen Angriffskrieges auf die Ukraine.
  1. Die Bremische Bürgerschaft erkennt den Holodomor als Völkermord an.
  1. Die Bremische Bürgerschaft fordert den Senat auf:
    1. sich auf Bundesebene für die Anerkennung des Holodomor als Völkermord einzusetzen. 
    2. den ukrainischen nationalen offiziellen Tag der Erinnerung an die Opfer des Holodomor in angemessener Form zu nutzen, um ebenfalls den Opfern des Holodomor zu gedenken.