Nein zu häuslicher und sexueller Gewalt! Bremen zeigt klare Haltung

Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FDP.

Häusliche und sexuelle Gewalt in der Gesellschaft betrifft uns alle. Die Zahlen und Fakten der vergangenen Jahre sind erschreckend – weder im Land Bremen noch im Bund ist eine Trendumkehr der Fallzahlen zu erkennen. Im Gegenteil, mit Corona nahm das Gewaltpotential in unserer Gesellschaft auf vielen Ebenen zu. So zeichnet die am 17. März 2021 veröffentliche Polizeiliche Kriminalstatistik für Bremen ein trauriges Bild: Die Fälle häuslicher Gewalt sind mit 15,8 % spürbar angestiegen. Dieser Trend ist fatal und in hohem Maße bedrückend. Immer wieder muss deshalb öffentlich die Frage diskutiert werden, wie Gewaltstrukturen aufgedeckt werden können und wie Hilfesysteme organisiert werden müssen, damit den von Gewalt Betroffenen tatsächlich schnell geholfen werden kann.

Die öffentlichen Nachrichten reagieren stets anlassbezogen und kurzzeitig intensiv auf das Thema sexuelle und häusliche Gewalt. In diesen Momenten lässt sich erahnen, wie groß das in polizeilichen Berichten beschriebene Dunkelfeld in diesem Straftatbereich tatsächlich ist und wie viele Einzelbiografien durch diese nachhaltig traumatisierenden Erfahrungen ein Leben lang geprägt werden. Mit den Nachrichten verblasst aber auch das Bewusstsein dafür, wie durchzogen alle gesellschaftlichen Schichten – unabhängig von sozialem, religiösem oder nationalem Hintergrund – von diesen Kinder- und Menschenrechtsverletzungen durch Gewalt sind. 

Andere Städte haben mit öffentlichen Kampagnen versucht, für dieses Thema zu sensibilisieren. In Meran etwa startete im Oktober 2021 eine großangelegte Fotokampagne mit Plakaten in der ganzen Stadt und mit Bildern in den sozialen Netzwerken. Genderbasierte Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und muss auch als solches behandelt werden. Ganz unterschiedliche Meraner Männer, die die Stadtgesellschaft in voller Breite repräsentieren, posieren auf den Plakaten und sprechen sich öffentlich gegen Gewalt an Frauen aus. Initiiert wurde die Kampagne vom örtlichen Netzwerk „Gewalt an Frauen“. 

Einen ähnlichen Tenor hat die jüngste Kampagne des bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, das am 6. März 2013 beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln eingerichtet wurde, angeschlagen. Mit der Kampagne „Gewalt gegen Frauen betrifft uns alle“ wurde für den Weltfriedenstag am 21. September 2021 eine konfessionsübergreifende Aktion organisiert, in der Vertreter vieler Religionsgemeinschaften gemeinsam ein Zeichen gegen Gewalt gesetzt haben. Sie mahnten an die Verantwortung aller, nicht wegzusehen, wenn Gewalt geschieht.

Hinsehen, wenn Gewalt geschieht und keinen Hilferuf unbeantwortet lassen. Das gilt ganz besonders auch für den Bereich der sexuellen Gewalt an Kinder und Jugendlichen. Die Studie „Sexuelle Gewalt in der Familie. Gesellschaftliche Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendlichen von 1945 bis in die Gegenwart“, die von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Goethe-Universität Frankfurt am Main im September 2021 vorgelegt wurde, bestätigt nun in Zahlen, was man bisher erahnt hatte: In 87% der untersuchten Fälle ist der Täter männlich. Jeder zweite Täter ist der leibliche Vater, Stief- oder Pflegevater. Die Opfer waren in der Mehrheit weiblich, etwa zehn Prozent waren Jungen und männliche Jugendliche. Die Täter bedrohten und schlugen ihre Opfer, andere Familienangehörige – oft Mütter – aber glaubten ihnen nicht, suchten keine Hilfe und duldeten den Missbrauch. Bei fast jedem zweiten Kind begann der Missbrauch vor dem sechsten Lebensjahr und dauerte oft über viele Jahre an. Nur selten beendeten Eingriffe von außen die Qual. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begründen diese Tatsache damit, dass die Scheu in Familienangelegenheiten einzugreifen besonders groß sei, nicht nur bei Privatpersonen, sondern auch bei Fachkräften des Jugendamtes. Weil es den Tätern oft gelingt, den Schein der Normalität zu waren, sind die Kinder und Jugendlichen aber auf ein aufmerksames Umfeld angewiesen und müssen sich darauf verlassen können, dass ihnen geholfen wird. Oft führt aber der Schutz der Privatsphäre dazu, dass die Opfer schutzlos ausgeliefert bleiben, denn gerade Kinder können ihre Familien eben nicht so einfach verlassen. 

Dieses Dilemma im Opferschutz ist schwer aufzulösen, einige Ansätze aber sind vielversprechend. So hat das Land Nordrhein-Westfalen im Oktober 2021 ein neues Hinweistelefon für sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen geschaltet. Wer etwa Hinweise auf möglichen sexuellen Missbrauch hat kann über das Hinweistelefon seine Beobachtungen niederschwellig melden. Innenminister Herbert Reul betonte bei der Vorstellung des Hinweistelefons, dass es „Situationen gibt, die kein Notfall sind, die aber dennoch ungemein beunruhigend sind. Wenn man schon länger beobachtet, dass sich ein Kind plötzlich anders verhält, ängstlicher geworden ist oder auf einmal ganz still.“ „Das Hinweistelefon sei“, so der Innenminister in der Pressekonferenz, „für eben dieses Da-stimmt-was-nicht-Gefühl bestimmt, für das schlechte Bauchgefühlt“. Vier Polizeibeamtinnen des Landeskriminalamtes NRW betreuen das Hilfetelefon. Sie alle arbeiten bei der Zentralen Auswertungs- und Sammelstelle für Kinderpornographie und sind einschlägig im Themenbereich qualifiziert. Die Mitarbeiterinnen dokumentieren die Fälle auf, bewerten sie und geben sie an die örtliche Polizeidienststelle weiter. So wolle man nach eigenen Aussagen sicherstellen, dass eingehende Hinweise auch an der richtigen Hilfestelle ankommen.

Diese unterschiedlichen Möglichkeiten, sich dem Thema sexueller und häuslicher Gewalt zu stellen, können auch für das Land Bremen bespielgebend sein, um das öffentliche Unrechtsbewusstsein zu schärfen. Vor diesem Hintergrund fordern wir den Senat auf: 

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf:

  1. Auch für das Land Bremen im Jahr 2022 eine öffentliche Kampagne zu organisieren, die von allen kooperationswilligen religiösen und kulturellen Gemeinschaften unserer Stadt aktiv getragen und individuell kreativ umgesetzt wird, um Gewalt an Frauen und Kindern scharf zu verurteilen;
  2. Zu prüfen, in welcher Form und unter welchen Bedingungen ein Hinweistelefon für häusliche und sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen auch für das Land Bremen realisiert werden kann und zu sondieren, ob seine Einrichtung, wie im Beispiel von Nordrhein-Westfalen, durch Integration beim Landeskriminalamt sinnvoll ist sowie die entsprechenden Schritte zur Realisierung einzuleiten; 
  3. Der Deputation für Inneres und dem Ausschuss für die Gleichstellung der Frau innerhalb von 3 Monaten über den Stand der Umsetzung der Beschlusspunkte 1 und 2 zu berichten