Grundrechte sind keine Selbstverständlichkeit – Tag des Mauerbaues als Auftakt zur Stärkung der politischen Bildung nutzen!

Antrag der Fraktion der FDP.

Der jüngst vorgestellte Verfassungsschutzbericht für das Land Bremen (vorgelegt am 10. Juni 2021) lässt keinen Zweifel daran, dass es mitten unter uns antidemokratische Kräfte gibt. Der Senator für Inneres, Ulrich Mäurer, muss in der Pressekonferenz leider zugeben, dass „die Zahl der Gegner der demokratischen Grundordnung stetig zunimmt.“ Diese Aussage ist verstörend wie alarmierend und zeigt, dass unsere Freiheit in Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist.

Der unterschiedliche Stellenwert von Freiheit aber ist der Seismograph für ein demokratisches und rechtsstaatliches Miteinander. In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 – vor 60 Jahren – gab der Staatsratsvorsitzende, SED-Parteichef und Vorsitzende des Nationalen Verteidigungsrates, Walter Ulbricht, den Befehl zur Abriegelung der Sektorengrenze in Berlin. Damals noch unvorstellbar, wurden Deutsche in Ost und West für die kommenden 28 Jahre mittels Betonmauer, Stacheldraht, Schießbefehl und Selbstschussanlagen voneinander getrennt. Die politische Spaltung Deutschlands und Europas wurde durch diesen Todestreifen, an dem mehr als 600 Menschen den vorzeitigen Tod erlitten, manifest. Bis heute ist die Mauer Symbol für den Kalten Krieg und ihr Sturz 1989 steht für das Ende desselben. Aber sie ist mehr als das: Unter der Vorgabe der Errichtung eines „antifaschistischen Schutzwalls“ sicherte eine Diktatur ihre Existenz, indem sie ihrer Bevölkerung die Freiheitsrechte mit Gewalt entzog. Mit ihr manifestierte ein kommunistisches Regime die Unfreiheit und die Unterdrückung elementarer Menschenrechte als Instrumente der eigenen Machterhaltung. Die Mauer ist bis heute Symbol staatlicher Willkür und kommunistischer Zwangsherrschaft gegenüber der eigenen Bevölkerung. Die Politik gegen das eigene Volk fand am 13. August 1961 einen erschreckenden Höhepunkt.

Der 13. August ist ein Gedenktag für all die Menschen, die auf dem Weg in die Freiheit ihr Leben verloren haben, für all die Familien, die getrennt wurden und werden und all die gebrochenen Lebensläufe in antidemokratischen Gesellschaften. Am 13. August 1961 wurde keine Grenze aufgebaut, um eine unerlaubte Einreise zu verhindern. Hier wurden Menschen erschossen, die ihren menschen- und völkerrechtlichen Anspruch der Ausreise aus einem Land durchsetzen wollten. An den Daten konkreter historischer Ereignisse und an den Erinnerungsorten dieser Zäsuren muss primär immer die Erarbeitung von Wissen im Vordergrund stehen. Ziel ist nicht das „mitleidende Gedenken“ (Klaus von Dohnanyi) jeder heranwachsenden Generation. Erst mit diesem Wissen beginnt das Begreifen und eine Reflexion über die eigene Lebensrealität. Die Auseinandersetzung mit dem Tag des Mauerbaus und der innerdeutschen Grenze zwischen 1961 und 1989 schafft ein Bewusstsein für die Instrumente totalitärer Systeme und geht mit einer steigenden Sensibilität und Wachsamkeit gegenüber totalitären Strömungen und ihren Instrumenten der Macht einher. Der Wert von Freiheit muss einer Generation, die in demokratischer Freiheit herangewachsen ist, bewusst vermittelt werden. 

Daher muss die politische Bildung das Datum des Mauerbaus stärker in den Blick nehmen, denn hier werden die Auswirkungen der Unterdrückung elementarer Menschenrechte sichtbar, hier kann ein Bewusstsein für den Wert von Freiheit, Demokratie und die Instrumente eines Rechtsstaates geschärft werden. Erst 1989 gewannen die Menschen in der DDR und im übrigen kommunistischen Osteuropa ihre Freizügigkeit und damit ein verlorenes Grund- und Völkerrecht wieder. Die Reisefreiheit ist kein Konsumluxus, keine touristische Sehnsucht, sondern mit Blick auf unsere Geschichte hart erkämpftes Grundrecht. Seine massive Einschränkung über Jahrzehnte zeigt sinnbildhaft, dass ein demokratischer Rechtsstaat keine Selbstverständlichkeit ist. Die Grundrechte schützen den Freiheitsraum des Einzelnen vor Übergriffen öffentlicher Gewalt und sind damit Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Und zugleich sind sie Kern unserer Werteordnung, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 

„Gedenke der Brüder, die das Schicksal unserer Trennung tragen!“ Die sog. Kaisen-Inschrift am Deutschen Haus zeigt bis heute, dass sich der Wiederaufbau in Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg in tiefem Bewusstsein für diese demokratische Grundordnung vollzog. Der erste Nachkriegsbürgermeister hatte jene im Blick, denen die Grundrechte nicht gewehrt wurden und mit der politischen Idee für ein geeintes Deutschland in einem geeinten Europa setzt er bis heute Maßstäbe für politisches und gesellschaftliches Handeln. Heute würden wir nicht mehr allein von „den Brüdern“ sprechen, weil so zu viele einer Gesamtgesellschaft verbal ausgeschlossen sind. Und so ist die sog. Kaisen-Inschrift inzwischen ein doppeltes Symbol geworden, denn sie führt uns auch vor Augen, dass gesellschaftlicher Wandel im Rahmen unseres Grundgesetzes möglich ist. Radikale, gewalttätige und zutiefst demokratiefeindliche Aktivitäten braucht es dafür nicht.

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf:

  1. Gemeinsam mit dem Vorstand der Bremischen Bürgerschaft einen Vorschlag für eine angemessene jährliche Erinnerung zum Tag des Mauerbaus am 13. August in Bremen und Bremerhaven vorzulegen, der einerseits dem Gedenken an die Opfer Raum gibt und andererseits den besonderen Stellenwert der Grundrechte in unserer demokratischen Gesellschaft betont.
  2. Bremer Zeugnisse des Mauerbaus und des Widerstandes gegen ein totalitäres System und über das historische Bremer Bemühen, die deutsche Teilung zu überwinden, mit Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten und zu einem historischen Lehrpfad zu verknüpfen. Hierfür sollen alle Formate des analogen und digitales Wissenstransfers genutzt werden, um die Reflektion über den Wert von Demokratie und Freiheit anzuregen, insbesondere bei Schülerinnen und Schülern, aber auch allen anderen Bremerinnen und Bremern und den Gästen unserer Stadt
  3. Der intensiven Auseinandersetzung mit einzelnen Grundrechten entlang dieses Lehrpfades vor dem Hintergrund konkreter historischer Ereignisse einen festen Platz in der landes- und schulpolitischen Bildung zuzuweisen.
  4. An den Bremer Zeugnissen des Mauerbaus und der innerdeutschen Teilung modellhaft zu entwickeln, wie Denkmäler unserer Stadt als Zeugnisse historischer Entwicklungen erhalten, in ihren historischen Bezug gesetzt sowie kritisch reflektiert und bewertet werden können, um so auf der Basis von historischem Wissen Diskurse der Moderne führen zu können. Die so geschaffene Sichtbarkeit und kritische Bewertung der eigenen Geschichte ermöglicht eine stabile Basis für politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzungen der Gegenwart über das freiheitlich-demokratische Zusammenleben der Zukunft. 
  5. Der Deputation für Kultur innerhalb von sechs Monaten einen Bericht zu erstatten, in welcher Form und mit einem Zeitplan hinterlegt, die Beschlusspunkte umgesetzt werden können.