Diskriminierung und Sorgerechtsentzug lesbischer und bisexueller Mütter nach der Scheidung von ihrem Ehemann von 1946 bis 2000 auch im Land Bremen?

Kleine Anfrage der Fraktion der FDP.

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin haben im Januar 2021 die Ergebnisse der vom rheinland-pfälzischen Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz beauftragten Studie zur Situation lesbischer und bisexuelle Mütter nach einer Scheidung von ihrem Ehemann in Westdeutschland von 1946 bis 2000 vorgelegt. Die Studie legt offen, dass den Frauen, die sich von ihrem Ehemann trennten, um in einer lesbischen bzw. bisexuellen Beziehung zu leben, fast automatisch immer das Sorgerecht für ihre Kinder aberkannt wurde. Die rheinland-pfälzische Familien- und Integrationsministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) entschuldigte sich bei der Präsentation der Ergebnisse bei den lesbischen Müttern und ihren Kindern und bezeichnete die Studienergebnisse als „bedrückend und zugleich beschämend“. Die Studie lässt keinen Zweifel daran, dass lesbische Mütter in Westdeutschland von 1946 bis 2000 systematisch diskriminiert wurden. Nur in Ausnahmefällen blieb ihnen das Sorgerecht erhalten.

Die Studie stellt dar, dass, obwohl § 175 des Strafgesetzbuches allein schwule Männer strafrechtliche verfolgte, auch lesbische Frauen erheblich diskriminiert wurden. Danach liefen sie Gefahr, Unterhaltsansprüche und das Sorgerecht für Kinder zu verlieren, wenn sie nach der Trennung mit einer Frau zusammenlebten. Die Begründung für diese Entscheidung wechselt nach den Gerichtsakten dabei von einer offen antihomosexuellen Haltung zu einem angeblichen Schutz der Kinder. Das Argument des Kindeswohlgefährdung hatte jedoch eher die Erhaltung der normativen heterosexuellen Gesellschaftsordnung als das echte Wohl des Kindes im Blick. Wollten die Mütter weiter mit ihren Kindern leben, war es bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein zu empfehlen, die lesbische Beziehung während der Scheidung zu verbergen und auch danach eher geheim zu halten.

Deutlich wird, dass erst ab 1999, nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die offene und systematische Diskriminierung homosexueller Väter und Mütter bei der Sorgerechtsentscheidung beendet wurde. Noch im Großkommentar Staudinger zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1992 heißt es, dass die Homosexualität eines Elternteils deshalb problematisch sei, weil auch das Kind zur Homosexualität „verleitet“ werde. 

Auf Grund dieser erschreckenden Ergebnisse forderte im März 2021 die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag, unterstützt von der FDP-Fraktion und der Fraktion Die LINKE, eine bundesweite Aufarbeitung der genauen Zahlen, wie viele Frauen von einem Sorgerechtsentzug betroffen oder bedroht waren. Auch die Lage der lesbischen und bisexuellen Mütter in der DDR sollte untersucht werden, denn auch hierzu liegen bisher keine Studien vor. Nach Bekanntwerden der Studienergebnisse aus Rheinland-Pfalz sei eine Aufarbeitung des mit dem Sorgerechtsentzug verbundenen Unrechts dringend erforderlich.

Leider wurde diese Untersuchung von der Großen Koalition aus CDU und SPD abgelehnt, weshalb das Ausmaß des Unrechts für das Bundesgebiet auch zukünftig nicht nachvollzogen werden kann. Um aber die Auseinandersetzung mit der systematischen Diskriminierung lesbischer Mütter voranzutreiben, bleibt es nun den Ländern überlassen, hier für Aufklärung zu sorgen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

  1. Plant der Senat, ähnlich wie das Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz in Rheinland-Pfalz, eine ausführliche Studie zur Situation lesbischer und bisexueller Mütter nach der Scheidung in den Jahren von 1946-2000. Wenn ja, wann soll diese beauftragt und durch wen soll sie durchgeführt werden? Wenn nein, welche Gründe sprechen für das Land Bremen gegen eine solche Studie?
  2. Sind für das Land Bremen schon jetzt, trotz des Fehlens einer systematischen Untersuchung, Fälle bekannt, in denen Müttern das Sorgerecht für Ihre Kinder entzogen wurde, weil sie nach dem Verlassen der heterosexuellen Beziehung in homo- oder bisexuelle Partnerschaften gelebt haben?
  3. Kann der Senat ausschließen, dass es im genannten Zeitraum keine Fälle von Sorgerechtsentzug bei lesbischen und bisexuellen Müttern gegeben hat und was hat er nach Bekanntwerden der o. g. Studie unternommen, um zu prüfen, ob und in welchem Umfang auch in Bremen eine entsprechende Diskriminierungspraxis lesbisch und bisexueller Mütter umgesetzt wurde?
  4. Sind für das Landesjugendamt Bremen in den betreffenden Jahren zwischen 1946-2000 Handreichungen und Handlungsempfehlungen für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bekannt, bei der für die Einschätzung der Kindeswohlgefährdung die sexuelle Orientierung der Eltern ausschlaggebend oder zumindest negativ wertend in die Beurteilung einfloss?
  5. Sind dem Senat Gerichtsurteile bekannt, wo die homo- oder bisexuellen Partnerschaften der Mütter in der Begründung für einen Sorgerechtsentzug herangezogen wurden?
  6. Sind dem Senat Scheidungsurteile bis 1977 bekannt, wonach Frauen, die nach der Trennung in homo- oder bisexuellen Partnerschaften gelebt haben, den Anspruch auf Zahlungen von Unterhalt verloren, weil sie auf Grund einer homo- oder bisexuellen Beziehung schuldig geschieden wurden?
  7. Die vorgelegte Studie macht vor allem ein Schweigen über das schmerzhaft Erlebte deutlich, das sich bis heute fortsetzt. Wie hoch bewertet der Senat den Wert einer Studie zur Situation lesbischer und bisexuelle Mütter für die späte Rehabilitation und Anerkennung ihres Unrechts, die man ihnen bis heute schuldig geblieben ist?
  8. Wie hoch bewertet der Senat die Relevanz einer Untersuchung, sich in Bund und Land mit dem Unrecht, dem Ausmaß und der Anerkennung des Leids der betroffenen Frauen und Kinder nach dem Beispiel von Rheinland-Pfalz auseinanderzusetzen?
  9. Wie bewertet der Senat vor dem Hintergrund der Ergebnisse der genannten Studie die Tatsache, dass trotz einer Öffnung der Ehe, lesbische Paare bis heute nicht gleichgestellt sind? 
  10. Wie bewertet der Senat den Faktor Zeit bei der Aufarbeitung des beschriebenen gesellschaftlichen Unrechts, da die entsprechenden Quellen, vor allem ein großer Teil der staatlichen Akten, bereits vernichtet wurde oder kurz vor der Vernichtung steht?
  11. Wie bewertet der Senat den Einfluss entsprechender Studienergebnisse auf heute noch gegenwärtige Vorurteile gegenüber Familien mit zwei Müttern oder Vätern oder Vorbehalte gegen die Adoption eines Kindes durch ein gleichgeschlechtliches Paar?