Spürbarer Anstieg der häuslichen Gewalt in der Corona-Pandemie – Hilfsstrukturen in Bremen endlich besser absichern!
Dringlichkeitsantrag der Fraktion der FDP.
Die am 17. März 2021 veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik zeichnet ein deutliches Bild: Die Fälle häuslicher Gewalt in der Stadt Bremen sind spürbar angestiegen. Im Vergleich zum vergangenen Jahr haben diese Delikte um 15,8 Prozent zugenommen – eine Zahl, die der Innensenator selbst als „besonders bedrückend“ bezeichnet. Diese offiziellen Zahlen spiegeln für dieses Deliktfeld nur bedingt das tatsächliche Geschehen wider. Da Kitas und Schulen über lange Zeiträume geschlossen waren, sind viele Taten häuslicher Gewalt Außenstehenden verborgen geblieben. Die Kontaktbeschränkungen haben diesen Effekt verstärkt, da die Opfer auch im privaten Umfeld schwieriger Hilfe von Freunden und Verwandten organisieren konnten.
Diesen traurigen Befund für das Land Bremen bestätigt auch die Bundespsychotherapeutenkammer. Nach ihren Angaben haben in Zeiten dieser langwierigen Belastungsprobe die Fälle häuslicher Gewalt in Familien bundesweit zugenommen. Neben den Kontaktbeschränkungen gelten struktureller Stress, Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme, soziale Isolation, erzwungener Konsum- und Freizeitverzicht sowie beengte Wohnverhältnisse als situative Risikofaktoren. Die anhaltenden Kontaktbeschränkungen stellen Familien nach wie vor und ohne absehbares Ende vor enorme psychische Herausforderungen.
Die Suche nach Hilfe ist schon ohne „Corona“ kein einfacher Weg, im letzten Jahr aber wurde die Lage für die Opfer äußerst kompliziert. Die Betroffenen sind in der Regel Frauen und Kinder. Sie stehen ob der ständigen Präsenz der Gewalttäter unter noch größerer Kontrolle. Die Schwelle, die Angst zu überwinden und eine Chance zu finden, tatsächlich Hilfe zu suchen und schließlich die Tat anzuzeigen, wird dadurch noch höher. Auch Kinder sind stark von Vorfällen häuslicher Gewalt betroffen. In der Regel sind sie zu jung, um sich mitzuteilen, selbständig Hilfe zu organisieren oder werden unter Druck gesetzt, über entsprechende Vorfälle zu schweigen. Schulschließungen und unregelmäßiger Kitabetrieb machen die Kinder für Außenstehende unsichtbar, das Entdeckungsrisiko für die Täter ist praktisch nicht mehr vorhanden.
Studien belegen, dass häusliche Gewalt in allen gesellschaftlichen Schichten auftritt. Das Problem muss daher ganz grundsätzlich stärker in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt werden. Eine sensibilisierte Gesellschaft darf diese Gewalt unter keinen Umständen hinnehmen. Mehren sich die Taten, muss entschieden reagiert werden. Alle Hilfestrukturen – mit Ausnahme der Frauenhäuser – sollten grundsätzlich für alle Menschen, die vor jeder Form von Gewalt geschützt werden müssen, offen stehen und barrierearm zugänglich sein. Dafür ist es wichtig, die Frauenhäuser, Beratungsstellen und Hilfestrukturen bedarfsgerecht auszustatten. Auch die Ausfinanzierung der Maßnahmen des Landesaktionsplanes zur Umsetzung der Istanbul-Konvention ist dafür notwendig. Ankündigungen von Regierungsfraktionen und Senat zu diesem Thema waren bisher immer vollmundig, blieben dann aber bei der finanziellen Ausstattung doch nur Lippenbekenntnisse. Da viele der Hilfsangebote noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen sind, bedarf es hier außerdem einer dringenden Modernisierung.
Die Bürgerschaft (Landtag) möge beschließen:
Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf:
1. Die vorhandenen Strukturen der Frauen-, Kinder- und Jugendhilfe im Land Bremen auszubauen und an die Corona bedingten Anforderungen anzupassen, dabei
- die Gespräche auf Bundesebene über ein länderübergreifendes Online-Register zur Registrierung und Abfrage von Frauenhausplätzen zu intensivieren und notfalls in Kooperation mit willigen Bundesländern, ein eigenes Pilotprojekt zu initiieren,
- zu prüfen, wie bestehende Online-Beratungsformate unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen ausgeweitet und angepasst werden können,
- zu prüfen, ob in den bestehenden Strukturen Männer als Opfer ausreichend Hilfe finden,
- Kapazitäten bekannter Beratungs- und Hilfe-Hotlines so aufzustocken, dass diese einerseits ein 24/7-Notfallangebot realisieren, andererseits aber auch niederschwellige Anlaufstellen und Fachberatungen etwa in Supermärkten oder Apotheken einrichten können,
- zu prüfen, in welcher Form ein flächendeckendes Hilfsangebot speziell für (potentielle) Täter und Täterinnen aufgebaut und wo dieses angesiedelt werden kann.
- Entsprechende Konzepte und Mittel für die Präventionsarbeit in Schulen, Vereinen und für die Träger der Einrichtungen der Offenen Jugendhilfe bereit zu stellen, um das Thema stärker in die öffentliche Diskussion zu rücken und darauf aufbauend eine nachhaltige online und offline zugängliche Gewaltschutzkampagne zu eröffnen.
2. Strukturen der Frauen-, Kinder- und Jugendhilfe im Land Bremen endlich auskömmlich zu finanzieren und dabei
- insbesondere Frauenhäuser, Beratungsstellen und Hilfsstrukturen im Land Bremen im kommenden Haushalt mit den nötigen finanziellen Mitteln auszustatten sowie Mittel für eine flächendeckende Digitalisierung bereit zu stellen, wobei darauf zu achten ist, dass ausreichend Angebote für barrierefreie Plätze und Plätze für Frauen mit jugendlichen Kindern vorgehalten werden,
- finanzielle Mittel für die Durchführung von Aufklärungskampagnen, mit dem Ziel, potentiellen Opfern und Tätern Informationen zukommen zu lassen und Stigmatisierung abzubauen, bereitzustellen,
- alle geplanten Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bremen mit den nötigen Geldern zu hinterlegen und mit Nachdruck umzusetzen,
- vorhandene Strukturen der Frauen-, Kinder- und Jugendhilfe so zu finanzieren, dass sie einen durch Corona gestiegenen Hilfebedarf decken können und dabei zu prüfen, ob diese Corona bedingten Mehrbedarfe der Frauen-, Kinder- und Jugendhilfeinfrastruktur mit Mitteln aus dem Bremen-Fonds finanziert werden können.
3. Sicherzustellen, dass die Notaufnahmen für Hinweise auf akzidentelle Verletzungen bei Kindern und Jugendlichen sowie Anzeichen für häusliche Gewalt bei Erwachsenen sensibilisiert und über städtische Hilfsangebote informiert sind, um bei Verdachtsfällen entsprechende Hilfestrukturen aktivieren zu können.
4. Erzieherinnen und Erzieher wie auch Lehrerinnen und Lehrer dafür gezielt zu sensibilisieren, dass sie psychische und psychosomatischen Auffälligkeiten als Auswirkungen der Pandemie bei Kindern und Jugendlichen identifizieren und gegebenenfalls über konkrete Schritte der Hilfe informieren können
5. Dem Ausschuss für die Gleichstellung der Frau, dem Jugendhilfeausschuss und der Innendeputation binnen drei Monaten nach Beschlussfassung über den Umsetzungsstand zu berichten.